EMtaz: Bilanz der Europameisterschaft: Gemischte Gefühle

Terrorangst, Proteste, Krise: Noch nie war eine EM vor ihrem Beginn politisch so aufgeladen. Doch die Fans eroberten den Fußball zurück.

Polizisten vor dem EIffelturm. Vor ihnen brennt etwas Müll auf der Straße.

Während des Finales kam es zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und Personen, die auf die überfüllte Pariser Fanmeile wollten Foto: dpa

PARIS taz | Europameister! Ohne ihren extraordinären Ausnahmespieler Cristiano Ronaldo! Überall wird seit Sonntagabend über dieses Wunder gesprochen. Hat am Ende doch die Magie des Fußballs wieder einmal gesiegt?

Von Sport wurde kaum geredet vor dem Eröffnungsspiel am 10. Juni. Im Zeichen der Terroranschläge vom vergangenen November in Paris stand dieses Turnier, bevor es angepfiffen wurde. Hinzu kamen das kriselnde auseinanderdriftende Europa, die Streiks und sozialen Proteste in Frankreich, die Instrumentalisierung des Fußballs durch die rechtspopulistische AfD in Deutschland und der korrupte, um Glaubwürdigkeit kämpfende, führungslose europäische Fußballverband. Noch nie war eine EM vor ihrem Start politisch so aufgeladen. Dann bestimmten in den Anfangstagen auch noch russische Hooligans mit besten Kontakten zur Politik die Schlagzeilen.

Doch Tag für Tag eroberte sich der Fußball dieses Turnier zurück. Genauer gesagt war es gar nicht der Fußball, sondern es waren die Fans. Oder noch genauer gesagt, die Fans der neuen Teams, die aufgrund der Erweiterung des Teilnehmerfelds erstmals mitmachen durften.

Nicht nur in Frankreich haben sie geschwärmt: Toll, diese Nord­iren! Wie ausdauernd sie ihren Will Griggs, der das Turnier nur auf der Ersatzbank verbrachte, besangen. Fantastisch, diese Isländer! Wie urig sie ihr Team anfeuerten. Ihr Klatschritual ist mittlerweile von vielen anderen Fans in den Stadien übernommen worden. Und bewundernswert diese Waliser, die lange nach Spielschluss einfach auf ihren Rängen blieben und nicht nach Hause wollten!

Neue Leichtigkeit ab dem Achtelfinale

Irgendwann, als die qualitativ äußerst armselige Vorrunde überstanden war, hat man auch noch ein wenig über Fußball, über Dreier- und Viererketten, über Stars wie Ronaldo und An­toine Griezmann gesprochen, über Teamspirit und Verteidigungsstrategien.

Eine neue Leichtigkeit hatte diese EM gerade in dem Moment erfasst, als eine neue Schwere auf dieses Event zu drücken schien. Das Zusammenkommen dieser beiden widersprüchlichen Entwicklungen ergab einen sehr besonderen Mix. Manches wurde einfach nur übertönt, wie man einen enervierenden Schlagbohrer in der Nachbarwohnung mit Partymusik überdröhnt.

Antoine Griezmann

„Es war unsere Pflicht, diese Spiele zu gewinnen, um den Franzosen Freude zu bereiten“

Wenn man sich plötzlich wieder drei Leibesvisitationen statt einer vor dem Stadion unterziehen musste – die Standards wurden sehr unterschiedlich ausgelegt – oder unvermittelt die Eingangshalle des Bahnhof von Lyon geräumt und abgesperrt wurde, kam einem plötzlich wieder die fast vergessene Terrorbedrohung in den Sinn.

Nach dem Finale war die Leichtigkeit schnell dahin

Den Ballast, den insbesondere das französische Team mit sich herumschleppte, machte Antoine Griezmann ausgerechnet nach dem gewonnenen Halbfinale gegen Deutschland sichtbar, als er danach gefragt wurde, wie sehr das Sicherheitsthema dieses Turnier beeinträchtigt habe. „Es war unsere Pflicht, diese Spiele zu gewinnen, um den Franzosen Freude zu bereiten, sie davon abzulenken.“ Man hörte aus seinen Worten heraus, wie schwer die Verantwortung wiegt, Leichtigkeit zu schaffen.

Erst nach dem Sieg gegen Deutschland ließ sich diese Freude auf den Straßen wiederfinden. Die ersten größeren Autokorsos wurden etwa in Paris gestartet. Mopedfahrer heizten hupend und mit erhobenem Vorderrad über die Boulevards der Stadt. Die blau-weiß-roten Fahnen vermehrten sich exponenziell. Die Bäcker formten den Teig dem EM-Pokal, dem Coupe Henri-Delaunay, nach. Aber am Sonntagabend war diese Leichtigkeit nach der Niederlage gegen Portugal auch schnell wieder dahin.

Anders als in Deutschland ist der Fußball aber in Frankreich sowieso nicht dazu imstande, alles zu überdecken. Einen Fußballpräsidenten wie Reinhard Grindel, der seinen Wechsel vom Deutschen Bundestag in den Deutschen Fußball-Bund als Aufstieg in ein höheres Staatsamt betrachtet, so dass Angela Merkel dieses Mal auf ihre Stadionbesuche verzichten konnte, kann es in Frankreich nicht geben.

Die Fans haben die EM gerettet

Viele hat diese EM lange Zeit nicht emotionalisieren können. In den ersten Wochen waren es in den Cafés ganz oft Minderheiten, die auf den Fernseher starrten. Vermutete man in den Bahnhöfen wegen größerer Massenansammlungen TV-Leinwände, dann starrten doch nur wieder alle gebannt auf die Anzeigetafel mit den aktuellen Gleisangaben.

Aber unter dem Strich kann man festhalten: Die durch die Erweiterung bedingte sportliche Entwertung des Turniers wurde durch den partizipatorischen Zugewinn mehr als kompensiert. Das zahlt sich nicht nur wirtschaftlich durch eine 30-prozentige Profitsteigerung aus, sondern lässt sich als politisches Signal verkaufen.

„Nur Fußball kann die Menschen aus verschiedenen Ländern so vereinen“, bilanzierte Uefa-Vizepräsident Àngel Maria Villar. Die Fans haben die EM gerettet. Die Uefa hat das verstanden, nicht umsonst beschäftigt man sich derzeit mit der bizarren Idee, den Fan des Turniers auszuzeichnen.

Diese Europameisterschaft konnte auch deshalb zu einem Festival der Gefühle werden, weil es Island und Wales weit gebracht haben. Diese Nordiren, Isländer und Waliser waren ganz schön laut, sie haben so manches übertönt.

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