Die Wahrheit: Amoklauf und Scheininformationen

Nach den Schüssen von München wurde der Täter in den Medien als „Deutsch-Iraner“ bezeichnet. Was hat es mit diesem Bindestrich-Wort auf sich?

Mal abgesehen von der Frage, ob die Herkunft eines Menschen überhaupt etwas mit seinen Verbrechen zu tun hat: Was, bitte schön, ist ein „Deutsch-Iraner“?

Mit diesem Information vortäuschenden Bindestrich-Wort bezeichnen die Medien seit Tagen den Amokläufer von München. Als ich die schwammige Formulierung zum ersten Mal hörte, fragte ich mich, was damit gemeint sein könne. Hatte jener David S. einen deutschen und einen iranischen Elternteil? Hatte er beide Staatsangehörigkeiten? Ist er im Iran geboren und später nach Deutschland gekommen und hat den Pass gewechselt? Alles denkbare, aber sehr unterschiedliche Biografien. Und würde man einen Abstammungsdeutschen, der im Iran aufwüchse, auch „Deutsch-Iraner“ nennen?

Erfreulicherweise erfuhr man in den folgenden Tagen doch Näheres: Dass es sich um einen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit handelte. Also um einen Deutschen. Zwar stammten seine Eltern aus dem Iran, und zusätzlich zur deutschen hatte der Täter auch die iranische Staatsangehörigkeit, was aber aus mehreren Gründen irrelevant ist. Erstens kennt unser Staatsangehörigkeitsrecht keine Staatsbürger unterschiedlicher Klassen; zweitens darf man als Deutscher einen weiteren, Nicht-EU-Pass nur besitzen, wenn das andere Land die Entlassung aus seiner Staatsangehörigkeit verweigert oder an unzumutbare Bedingungen knüpft – man ist also oft unfreiwillig Doppelstaatler –; und drittens hatte der bekennende Deutsche „David S.“ vermutlich, so berichten es zumindest Bekannte des Täters, rassistische Vorurteile gegenüber „Ausländern“.

Also muss die Frage erlaubt sein, ob es sich bei der Bezeichnung des psychisch kranken Amokläufers als „Deutsch-Iraner“ vor allem darum dreht, das Verbrechen bewusst oder unbewusst in einen orientalisch-muslimischen Zusammenhang zu stellen.

Was immerhin erklären würde, warum „David S.“ dann plötzlich – leider auch in seriösen Medien – zum Komplett-Orientalen „Ali S.“ mutierte. Unklar bleibt, ob der Täter tatsächlich beide Vornamen trug. Spiegel.de vermeldet, die Behörden führten ihn als „David S.“, es gebe allerdings ein ihm zugeschriebenes, aber nicht verifiziertes Face­book-Profil unter dem Namen „Ali“. Pardon?

Nun mag man sagen: Was soll das alles angesichts von neun Toten? Eine verständliche, aber falsche Frage. Die Opfer und die Schrecklichkeit der Tat sind die eine Sache, die Darstellung der Medien ist eine andere. Ich werde an dieser Stelle ungern flapsig, aber klar ist: Wenn ich durchdrehte und etwas ähnlich Furchtbares täte, schrieben alle Zeitungen vom „Deutsch-Jordanier Samer El K.“. Doch glauben Sie mir, bei allem, was man Jordanien oder dem Islam vorwerfen kann: Weder Staat noch Religion hätten mit meiner Tat etwas zu tun. Ihr Unterbewusstsein könnte aber gar nicht anders, als die falschen gedankliche Schlüsse aus dieser Scheininformation ziehen.

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kari

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