Linke und die Debatte um den Islam: Ums Kuscheln geht es nicht

Islamkritik dient oft nur der Bestätigung rassistischer Diskurse. Der Fokus der Debatte ist einseitig. Eine Replik auf Ahmad Mansour.

Auf eine Wand ist das Bild einer Moschee gemalt. Der Putz bröckelt.

„Den“ Islam gibt es nicht Foto: Drachenhonig/photocase

„Wir sind nicht eure Kuscheltiere“, schrieb vor drei Wochen der Psychologe und Autor Ahmad Mansour in einem vielbeachteten taz-Essay. Er als Muslim finde, dass Muslime in die offene Debatte integriert gehörten. Die unter manchen Linken und Liberalen verbreitete „Kultursensibilität“ sei absurd und teils rassistisch.

Bei Letzterem hat er ganz recht: Der nur scheinbar freundliche Gedanke „Das ist halt deren Kultur“ ist falsch. Andersartigkeit kann man auch ohne nationale „Kulturen“ respektieren. Es gibt genauso wenig „die Araber“, wie es „die Deutschen“ gibt, das kann ich als „Deutsch-Araber“ aus eigener Erfahrung bestätigen. Der Multikulturalismus geht aber letztendlich davon aus.

Diesem Konzept von „Kultur“ habe ich beispielsweise zu verdanken, dass mir in Liebesangelegenheiten wegen meiner dunklen Augen „Glutäugigkeit“, also besondere Leidenschaftlichkeit, zugeschrieben wird, was an sich ganz praktisch ist. Doch einmal davon abgesehen, dass solche Zuschreibungen irgendwann an der Realität und ihren Ambivalenzen zerplatzen, hat das Vorurteil vom „glutäugigen Orientalen“ auch eine Schattenseite: nämlich die des von Emotionen und Trieben gesteuerten Arabers. So eng liegen „positive“ kulturelle Vorurteile und Rassismus oft zusammen.

Debatten sind wie Märkte

Hat Mansour also recht, wenn er meint, dass man sich mit der Kritik an Menschen mit arabischem und türkischem Hintergrund nicht zurückhalten solle, dass Aufklärung hier nicht haltmachen dürfe? Nicht ganz. Denn öffentliche Debatten sind Märkten ähnlich: Beide bringen im Idealzustand sehr positive Effekte hervor, in der Realität werden sie stark durch Machtverhältnisse und andere Umstände verzerrt.

Ein herrschaftsfreier und rational geführter Dialog hat das Potenzial, auf allen Seiten kulturelle Normen und Wertvorstellungen in Frage zu stellen. Mit der Zeit kann das dazu führen, dass repressive Wertvorstellungen über Bord geworfen werden. Gäbe es da nicht den Rassismus.

Der Politikwissenschaftler Floris Biskamp widmet sich in seinem neuen Buch „Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit“ ebendiesem Problem. Er legt dar, dass die „Sprechsituation“ in einer Debatte ungeheuer relevant ist, so wie es eben auch relevant ist, ob gerade zwischen gleichwertigen Diskutanten debattiert wird oder ob eine Person gemobbt wird. Die Art und das Ausmaß, in dem zur Zeit beispielsweise Kritik an „dem Islam“ geübt wird, ist zu einem Großteil irrational und verzerrt durch antimuslimische und ausländerfeindliche Ressentiments. 57 Prozent der Deutschen empfinden den Islam als bedrohlich.

Die Argumentationen sind durchzogen von Halbwissen und Pauschalisierungen

Die letzten Mitte-Studien der Uni Leipizig besagen, dass etwa 34 Prozent der Deutschen glauben, ihr Land sei in gefährlichem Maße überfremdet, und volle 41 Prozent finden, man solle Muslimen die Einwanderung nach Deutschland verbieten. Die Kommentarspalten von Artikeln zum Thema werden beherrscht von frisch gebackenen Islamexperten, offensichtlich geschult durch die einseitige Lektüre von Autoren wie dem in deutschen Talkshows oft gesehenen Islamkritiker Hamad Abdel-Samad, dessen Bücher voll von Methodik- und Denkfehlern sind. Rechtskonservative Publikationen wie Cicero oder die Welt drucken unverhältnismäßig viele Artikel über von Migranten begangene Verbrechen oder die Rückständigkeit des Islam. Die Argumentationen sind dabei durchzogen von Halbwissen und unzulässigen Pauschalisierungen.

Eine unverzerrte und differenzierte Diskussion darf sehr wohl auch feststellen, dass in Teilen muslimischer Communities antiliberale und autoritäre Denk- und Verhaltensweisen überproportional und in spezifischer Weise anzutreffen sind. Das steht nicht in Frage. Aber die Debatte wird auf ungute Weise geführt. Es wird zu viel von „dem Islam“ oder „der Kultur“ „der“ Araber und Türken geredet. Und die gibt es, wie bereits erklärt, nicht. Man immunisiert sich dabei gegen den Rassismus-Vorwurf, indem man lobenswerte Ausnahmen wie einen Abdel Samad oder eben Ahmad Mansour hervorhebt. Diese dienen aber nur der Bestätigung der Regel.

Ähnlich wie Abdel-Samad beruft sich Mansour auf ein kurzsichtiges Verständnis von Aufklärung. Man muss nicht Horkheimer und Adorno lesen, um zu verstehen, dass im Konzept „Aufklärung“ ein regressives Element enthalten ist, weil es dazu verleitet, die Menschheit in „Aufgeklärte“ und „Barbaren“ zu unterteilen. Der unaufgeklärte Barbar muss, weil er irrational und gefühlsgelenkt – quasi glutäugig – ist, zu seinem Besten gezwungen werden. Genauso rechtfertigten die europäischen Kolonisatoren ihre Grausamkeiten und ihre Raffgier. Und diese Entgegensetzung von aufgeklärten Westlern und barbarischen Südlern durchzieht und verzerrt die gesamte Debatte über den Islam und Migration.

Ein weiteres Problem ist der einseitige Fokus der Debatte. Wie Biskamp darlegt: Wenn die Probleme im Islam immer und immer wieder thematisiert würden, während andere religiöse oder kulturelle Traditionen und andere Bevölkerungsgruppen weitestgehend unproblematisiert bleiben, trügen „auch die genauesten und differenziertesten Redebeiträge über Islam und Musliminnen zum Problem bei: Die überproportional thematisierte Gruppe wird haargenau kritisch und differenziert durchleuchtet und gerade dadurch marginalisiert.“

Je barbarischer der andere ist, desto aufgeklärter wirkt man selbst

Die eigene Gruppe wird dabei gereinigt von allen „barbarischen“ Impulsen, so wie nach der Silvesternacht von Köln viele Deutsche, die für den Feminismus bisher nur Verachtung übrig hatten, plötzlich zu wilden Streitern für Frauenrechte wurden. Frauenfeindlich sind die anderen. Und je barbarischer der andere ist, desto aufgeklärter wirkt man selbst. Um aus dieser Falle auszubrechen, so Biskamp, solle man statt ständig allgemeine Debatten über „den Islam“ zu führen, sich auf konkrete Fragen konzentrieren und diese präzise diskutieren.

Gerade Mansour neigt aber zu Ungenauigkeiten und dient damit der Rechten ungewollt als Zuspieler von Argumenten, die darum (fälschlicherweise) als besonders objektiv gelten, weil er selbst arabischer Herkunft ist. Das beginnt schon mit dem Titel seines Buches „Generation Allah“: Das darin enthaltene Bild beschwört eine ganze Generation von irrationalen und gefährlichen Menschen herauf.

Wer solche Bilder kreiert, muss sie präzise belegen. Aber im Buch findet man kaum genaue Zahlen, dafür viele Anekdoten und die bedrohliche Aussage, dass die Generation Allah nach seinen „Beobachtungen“ wachse. Eine lapidare „Beobachtung“ reicht aber nicht aus, um verallgemeinerte Erkenntnisse zu formulieren. Auf Grund seiner an sich sehr zu begrüßenden Tätigkeit als Präventionsarbeiter gegen Salafismus wird er berufsbedingt ständig auf „Problemkinder“ treffen, was seine Wahrnehmung beeinflusst.

Die jungen Migrantentöchter und Migrantensöhne, die ich kenne, scheinen mir jedenfalls nicht zu dieser „Generation Allah“ zu gehören, werden aber durch solche Zuschreibungen stigmatisiert. Stigmatisierungen und damit verbundene Vorurteile sind ein wesentlicher Faktor in einem von französischen und amerikanischen Wissenschaftlern unlängst nachgewiesenen Teufelskreislauf aus Ausgrenzung und Integrationsverweigerung.

Nicht religiös gefestigt

Generell lässt sich sagen, dass Mansours Kernargument der wissenschaftlichen Diskussion hinterherhinkt. Die meisten Attentäter sind nämlich eben gerade keine gefestigten Muslime, sondern haben seit Kurzem die Religion für sich entdeckt, wie verschiedene Studien zeigen. Wer über Terrorismus spricht, kommt um diese Fakten nicht herum und muss sie mindestens ansprechen.

Um es zu betonen: Sicher hat Mansour recht, wenn er sagt, dass Salafisten einen zu großen Einfluss auf Jugendliche haben und dass über diesen Einfluss gesprochen werden, er zurückgedrängt werden muss. Aber die unreflektierte Bezugnahme auf die Aufklärung und die Vorzüge einer offene Debatte sind naiv. Die Rechte fordert „offene“ Debatten über „den Islam“ und „die Kultur“ von Migranten – ähnlich wie reichere Länder gerne lautstark freie Märkte fordern: weil es ihnen nützt.

Die Antwort kann selbstverständlich nicht sein, nicht kritisch miteinander zu reden. Aber man sollte sich Verzerrungen und Ungleichheiten bewusst machen und mit diesem Wissen nach fairen Verhältnissen streben, die eine solide Grundlage für offene Debatten bieten. Leute wie Mansour sollten sich klarmachen, dass es auch gute Gründe haben kann, dass manche Linke „plötzlich nicht mehr so nett“ sind, wenn sie mit seinen Thesen konfrontiert werden.

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Jahrgang 1973, schreibt für verschiedene Zeitungen über Rassismus und Liebe, über kluge und weniger kluge Kapitalismuskritik. Er verfasst derzeit seine sozialwissenschaftliche Masterarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Mehr von ihm unter: Houssamhamade.net

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