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: Postapokalypse

„The Survivalist“ (UK 2015; Regie: Stephen ­Fingleton)

Die Vorgeschichte ist schnell und in einer elegant-abstrakten Grafik erzählt. Eine rote Linie zeigt über die Jahrhunderte das Bevölkerungswachstum an, eine blaue die Menge des zur Verfügung stehenden Öls. Dann geht die blaue Linie nach unten, die rote Linie stürzt noch viel brutaler nach unten – willkommen in einer von nur noch wenigen verwilderten Jägern und Sammlern bewohnten Welt.

In einer Hütte im Wald irgendwo in Irland lebt ein Mann, den der Film namenlos lässt, er hat Samen zum Pflanzen, er hat einen Garten, er hat ein Gewehr, aber kaum noch Patronen, er hat ein Trauma wegen seines nun toten Bruders, mit dem er lange zusammengelebt hat. Und er hat das Foto einer Frau, zu dessen Anblick er gelegentlich masturbiert. Er wird es später verbrennen.

Ein Idyll ist das nicht. Der Mann (Martin McCann) ist verstört, fühlt sich ständig verfolgt, durchaus zu Recht, marodierende Banden bedrohen sein Leben. Er ist auf eine sehr nackte Existenz reduziert. Und es ist eine sehr verlorene Welt, die Stephen Fingleton in seinem Debüt „The Survivalist“ imaginiert.

Langfilmdebüt, muss man sagen, denn es gibt neben anderen Kurzfilmen, die er gedreht hat, auch einen, „Magpie“, der als Skizze für das Debüt funktioniert. Zwei der drei Protagonisten werden von denselben DarstellerInnen gespielt, atmosphärisch mehr als im Plot sind sich der Entwurf und die Ausführung ähnlich – „Magpie“ ist auf dem Vimeo-Kanal des Regisseurs gratis zu sehen.

Hier wie da entwirft Fingleton sein postapokalyptisches Szenario mit wenigen Mitteln, aber weil er nur sehr überlegte Bewegungen macht, ist es eine Welt voller Nuancen.

Vor allem lässt der Film sich und seiner Hauptfigur Zeit. Er sieht genau hin, die Kamera folgt noch den alltäglichsten Verrichtungen, sie zeigt ihn im Wald und zur Nacht, am Feuer und auch im Regen, sie zeigt ihn dabei, wie er alles tut, um selbst unter härtesten Umständen sein Überleben zu sichern, obwohl dieses Leben kaum etwas bietet, das es für einen Menschen vorstellbarerweise überhaupt lebenswert macht.

Um Thrillerspannung geht es dabei nicht, „The Survivalist“ ist als Kammerspiel auf kleiner Flamme gekocht. Alles ist karg, es wird wenig gesprochen, Musik gibt es nicht, die filmischen Mittel wollen keinen Effekt, von ein, zwei Szenen abgesehen, eine Parallelmontage oder eine Verfolgung im Freien, bei der ein Kameraflug nicht aufdringlich, aber im kühnen Sprung aus dem Register des Rests einen Perspektivwechsel vornimmt.

Dann tauchen zwei Frauen auf. Kathryn (Olwen Fouéré), die Mutter. Milja (Mia Goth), die Tochter. Damit gerät alles aus den Fugen. Misstrauisch lässt der Mann die beiden in seine Hütte und in sein Leben, die Tochter in sein Bett. Sie will da auch hin; oder will es nicht. Das bleibt unausgesprochen wie vieles.

Um Thrillerspannung geht es dabei nicht, „The Survivalist“ ist als Kammerspiel auf kleiner Flamme gekocht. Alles ist karg

Sie kommen einander nahe mit der Zeit, schützen und pflegen der eine die andere und die eine den andern, aber wo es ums bloße Überleben geht, sind die Beziehungen niemals stabil. Nicht dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist; sie sind einander schon Menschen, es gibt zeit- und versuchsweise sogar etwas wie Liebe zum ­Nächsten.

Rein düster ist das Menschenbild von „The Survivalist“ also nicht. Es geht um die Frage der Nacktheit eines Lebens am Rande des Todes; ganz buchstäblich sind oft die nackten Körper zu sehen, tot oder mehr tot als lebendig. Kein Natur- und Urzustand, sondern einer, der die Annehmlichkeiten der Zivilisation im Negativ zeichnet.

Der Wille, nicht grausam zu sein, wird, wenn Grausamkeit das eigene Überleben sichert, irgendwann schwach. Am Ende per Pilzgericht noch eine Anspielung auf Don Siegels Meisterwerk „The Beguiled“ mit Clint Eastwood. Ungewöhnlicher Film, tolles Debüt.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 10 Euro erhältlich