Die Frau, die stirbt

Kolbe-Museum Das Gesicht von Madame Hanako beschäftigte Auguste Rodin zehn Jahre lang

Ausgerechnet für ihre Darstellung des Sterbens und des Selbstmords wurde sie berühmt, die japanische Schauspielerin Ōta Hisa, die sich Hanako nannte. Fast jeder ihrer Auftritte auf Tourneen in Europa und den USA endete mit der Selbstentleibung. Wie ihrer Mimik die Affekte von Entschlossenheit, Angst vor dem Tod und Schmerz anzusehen waren, galt den Verehrern ihrer Kunst als sehr repräsentativ für das Fremde und so ganz Andere der japanischen Kultur. Zwar war Hanako, als sie 1901 mit 33 Jahren von Japan nach Europa aufbrach, als Geisha ausgebildet; auf keiner Bühne Japans aber hätte sie Anerkennung mit ihrer Todesdarstellung gefunden. Denn erstens war die rituelle Selbsttötung männlichen Figuren vorbehalten, vor allem den Samurai; zweitens war im traditionellen japanischen Theater das Spiel auf der Bühne bis dahin allein Männern gestattet.

Das Skript für die Rollen von Hanako stammte denn auch zum Teil von Loïe Fuller, einer amerikanischen Tänzerin und Tanzerneuerin. Und die brachte Hanako auch mit dem französischen Bildhauer Auguste Rodin zusammen am Rande einer Kolonialausstellung in Marseille. Der Geschichte der japanischen Künstlerin, die nur in einem westlichen Kontext zur Repräsentantin der japanischen Kultur werden konnte, und ihrer Begegnung mit dem Bildhauer ist eine Ausstellung im Kolbe-Museum gewidmet: „August Rodin und Madame Hanako“. Auf dem Plakat und dem instruktiven Katalog sind die beiden miteinander verknüpft wie die Figuren einer Spielkarte.

Fast über zehn Jahre hinweg währte ihre Arbeitsbeziehung, mehrfach kehrte sie für Modellsitzungen zwischen ihren internationalen Tourneen in sein Atelier zurück. Über fünfzig Masken und Büsten hat er zwischen seinem 60. und 70. Lebensjahr von ihr geschaffen. In Gips und in Ton, in Bronze und vergoldet und in farbiger Glasmasse sieht man nun dieses eine Gesicht wieder und wieder in den Vitrinen und auch in zeitgenössischen Fotografien. Durch diese Wiederholung verstärkt sich etwas zutiefst Beunruhigendes, das von dieser Maske ausgeht.

Es liegt etwas Unabgeschlossenes in ihrem Ausdruck und in ihrer Darstellung. Als ob Rodin nicht zu Rande gekommen wäre mit der Ausformulierung; oder viel mehr, nach jeder Formulierung noch einen weiteren Aspekt entdeckt hätte, der ihn wieder beginnen ließ.

Angst und Schaudern

Der Ausdruck der Masken verändert sich dabei. Madame Hanakos Gesicht ist unregelmäßig, starke Muskeln in der Stirn bilden steile Falten. Die Augen, als leere Pupillen geformt, sind in verschiedene Richtungen gedreht – ein Ausdruck, der eine besondere Technik aus der japanischen Tradition erforderte. Die Haut um die Lippen ist oft gespannt, die Zähne schimmern hervor. Anstrengung, Erschrecken, Angst, Schaudern, Verlorenheit sind in diesen Masken und Büsten zu finden; nur wenige zeigen ein entspanntes Gesicht. Meist aber wurde Madame Hanako von dem Bildhauer gebeten, Momente aus ihrer Darstellung ihres Todeskampfes für ihn zu spielen und auszudehnen. Denn gerade wie sie an der Schwelle zwischen Leben und Tod balancieren konnte, faszinierte ihn.

Durch die Konzentration auf das eine Motiv vermittelt die Ausstellung viel von dem Forschungs- und Experimentierwillen des Künstlers. Mal durchformulierter, mal nur grob skizziert, übt Rodin an diesem Forschungsobjekt auch Kunstgriffe, die in anderen Skulpturen zum Tragen kommen. Zum Beispiel in einer Beethovenbüste. Katrin Bettina Müller

Georg Kolbe Museum, bis 18. September, tägl. 10–18 Uhr