Kampf um Platz am Strand (Teil3): Die Macht im Sand

Handtücher auf Liegestühlen als besitzanzeigendes Objekt müssen bekämpft werden. Denn sie sind ein erster Schritt in die Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Menschen liegen auf einem Kreuzfahrtschiff auf Sonnenliegen

Sind die Liegen einmal belegt, hat der Gedanke des Nichtbesitzes, seine Unschuld verloren, sagt der Soziologe Heinrich Popitz Foto: dpa

BERLIN taz | An den Stränden Sardiniens und der Toskana geht die italienische Polizei neuerdings rabiat vor. Sie beschlagnahmt nicht nur Handtücher und Liegen, die nächtens an Stränden aufgestellt wurden, um den Platz an der Sonne zu reservieren. Sie kassiert sogar 200 Euro Strafe von den Usurpatoren.

Was es bedeuten würde, wenn sich die besitzergreifenden Handtuchleger durchsetzten, hat dereinst der Soziologe Heinrich Popitz beschrieben. In seinem Buch „Phänomene der Macht“ erzählt er von einer Schiffsreise durchs östliche Mittelmeer. An Bord waren Händler und Reisende, Umzügler und Flüchtende. Popitz jedoch richtete sein Augenmerk vor allem auf die Liegestühle.

Von denen gab es rund ein Drittel so viele wie Passagiere an Bord. Was zunächst kein Problem war, denn sie wechselten stets den Besitzer. Sobald jemand aufstand, galt der Liegestuhl als frei. Das Gebrauchsgut stand zwar nur in begrenzter Zahl zu Verfügung, wurde aber dennoch nicht knapp.

Das jedoch änderte sich schlagartig, als Neuankömmlinge nach dem Stopp in einem Hafen begannen, Liegestühle auf Dauer in Besitz zu nehmen. Prompt hatten sich zwei Klassen etabliert: die Besitzenden und die Besitzlosen. Die Besitzenden hielten zusammen. Sobald sich jemand einem freien Stuhl näherte, wurde er von anderen Besitzenden vertrieben. Später wurden freie Stühle gar zusammengeklappt, damit sie von den Besitzlosen nicht okkupiert werden konnten. Die alte Ordnung der freien Verfügbarkeit war perdu.

Natürlich hätten die Nichtbesitzenden sich dagegen wehren können. Sie hätten die Liegestühle zurückerobern können. Doch ihr Problem, so Popitz, sei die Frage gewesen: Was kommt nach dem Erfolg? Geben sie die Stühle wieder zur freien Verfügbarkeit, werden sie von den anderen umgehend wieder in Beschlag Genommen. Geben sie sie nicht frei, bilden die zuvor Nichtbesitzenden nur die neue Klasse der Besitzenden.

Der Zwang zur Intoleranz

„Die Vertreter des genossenschaftlich-gleichheitlichen Prinzips können sich nur durchsetzen, wenn sie sich radikal durchsetzen“, schlussfolgert Popitz. „Entweder muss es ihnen gelingen, das Besitzdenken zu unterdrücken, dass es praktisch nicht zur Geltung kommen kann – die ‚Umerziehung‘ –, oder sie müssen eine geschlossene Gesellschaft bilden, an der die anderen nicht teilhaben, vom Gebrauchsrecht ausgeschlossen sind.“ Daraus ergebe sich ein merkwürdiger Zwang zur Intoleranz. Der Gedanke des Nichtbesitzes, so Popitz, hat seine Unschuld verloren.

Aber ist deshalb der dritte Weg, der nun in Italien gegangen wird, ein akzeptabler? Ist der Staat der einzige Weg, um die Utopie der freien Güter zu verteidigen? Wenn sich einmal eine besitzende Klasse gebildet hat, wohl ja.

Um das zu verhindern, muss man früher ansetzen. Auch dafür liefert Popitz Hinweise. Denn sowohl in der ersten Phase, als alle Stühle noch Gemeingut waren, als auch später, schreibt der Soziologe, war die Besitzergreifung allein „durch Belegungssymbole nicht durchsetzbar“. Das Handtuch als territoriale Ansprüche markierendes Objekt gewinnt erst seine Macht, wenn es durch Gesten und Geschrei der scheinbar Besitzenden untermauert wird.

Woraus unweigerlich zu schließen ist: Wehret den Anfängen! Missachtet das Handtuch, das sich allein auf einer Liege oder im Sandstrand sonnt! Es hat nur so viel Macht, wie die Gesellschaft ihm gibt.

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