Hass im Netz

Auch online gilt das Strafgesetzbuch: Erstmals geht die Polizei mit bundesweiten Razzien gegen die Verfasser von Hasspostings vor

Streit über Kommentar

Urteil taz darf Namen des Users nicht nennen

BERLIN taz | 60 Razzien wegen Hasspostings – das hört sich nach konsequentem Einschreiten an. Die juristische Praxis sieht weitaus schwieriger aus, wie ein aktueller Fall aus der taz belegt. Nach einem nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Saarbrücken ist uns untersagt, den Namen zu nennen, unter dem auf Facebook die Billigung eines Mordes an einer Feministin gepostet wurde.

Im Sommer 2014 hatte der Autor Akif Pirinçci sich auf Facebook abfällig über eine feministische Professorin geäußert. Pirincci fand begeisterte Zustimmung, etwa in dem Post eines E.S.: „Was bliebe, wäre, diesen Genderlesben 8x9mm in das dumme Gehirn zu jagen. Das könnte ich und viele andere zwar tun – und dieser Abschaum hätte es auch 100%ig verdient – aber für uns gilt, dass wir als Familienväter unsere Familien nicht alleine lassen wollen für 20 Jahre.“ Die taz zitierte aus diesem Post unter Nennung des Benutzernamens.

Berufung eingelegt

Ein halbes Jahr später wandte sich der vermeintliche Verfasser an die taz: Er sei erst kürzlich auf den taz-Artikel aufmerksam geworden und bitte um Löschung, sodass er auch über Google nicht mehr auffindbar sei. Er vermute, dass ein ehemaliger Geschäftspartner dafür gesorgt habe, dass sein Account gehackt wurde oder sich anderweitig Zugang verschafft worden sei. Der Mailschreiber ist Freiberufler, die Veröffentlichung seines Namens im Netz mit Bezug zur Billigung eines Mordes könnte ihn daher Kunden gekostet haben.

Die taz lehnte seine Bitte ab, auch weil sich unter dem Benutzernamen eine Reihe weiterer rechtspopulistischer Kommentare im Netz fanden. Im März 2016 urteilte schließlich das Landgericht Saarbrücken. Der taz ist es seitdem untersagt, zu behaupten, der Kläger habe „einen Mordaufruf im Internet begangen, insbesondere unter Ausschreibung des vollständigen Namens des Klägers im Internet“. In der Urteilsbegründung heißt es: „Dem Interesse an einer Bekämpfung sog. Hassmails hätte es genügt, wenn der Inhalt des Posts dargestellt worden wäre. Einer Nennung des Namens bedurfte es hier gerade nicht.“ Das ist aus taz-Sicht falsch: Wenn Hetzer nicht mit der Nennung ihres Namens in der Öffentlichkeit zitiert werden dürfen, müssen sie kaum Nachteile befürchten. Damit steigt der Anreiz, vor dem Bildschirm seinen Vorurteilen freien Lauf zu lassen.

Die taz hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Sollte das Urteil vor höheren Instanzen Bestand haben, wären Artikel über Posts mit Nennung des Nutzernamens kaum noch möglich. Auch strafrechtliche Verfahren wegen Hassmails stünden auf der Kippe. Wer in einem Großraumbüro arbeitet, hätte zukünftig eine Ausrede zu Hand: Tut mir leid, ich bin es nicht gewesen, vielleicht war‘s mein Kollege, der meiner Beförderung schaden will. Martin Reeh