Hamburg will mehr schwule Pflege-Eltern: Regenbogen-Eltern gesucht

Die Familienbehörde Hamburg ermutigt schwul-lesbische Paare, sich als Pflegeeltern zu bewerben. Die Böhmers sind seit drei Jahren dabei.

Ein Familienfoto, auf dem zwei Väter und zwei Kinder sind

Papa und Papi Böhmer mit den Zwillingen Foto: LSVD

Freitagnachmittag, die Kita ist aus, es regnet. Kann er mit den Kindern zu Hagenbeck, oder ist es zu nass? Ganz alltägliche Gedanken eines Elternteils, die Thomas Böhmer sich macht. Er hat eine Teilzeitstelle, sein Mann arbeitet noch, bis der nach Hause kommt, ist Thomas Böhmer allein mit den Zwillingen Lucas und Alexander. „Als sie Babys waren, war es einfacher. Jetzt ist es schon sportlicher, auf sie aufzupassen, weil sie so viel Energie haben“, sagt der 35-jährige Betriebswirt.

Er lebt mit seinem Partner vor, wofür Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) anlässlich der Pride Week wirbt. Lesbische und schwule Paare können sich als Pflegeeltern bewerben. Denn es gibt rund 3.000 Kinder in der Stadt, die gegenwärtig nicht bei ihren leiblichen Eltern leben und nur 1.036 Pflegefamilien. Und für viele ist die besser als ein Heim. „Hamburg ist bunt, die gesellschaftliche Realität ist es auch“, sagt Leonhard. Die Anforderungen an homosexuelle Pflegeeltern seien exakt die gleichen wie an heterosexuelle. Zwar gebe es ein hartes Verfahren, das alle durchlaufen müssen, „doch es lohnt sich“, so die Senatorin. „Man hilft Kindern in einer schwierigen Lebensphase und gibt ihnen ein Zuhause auf Zeit.“

Der gelegentliche Stress zähle nicht, „denn man kriegt so viel zurück“, schwärmt Vater Böhmer. Er und sein Partner Torsten, der als Arzt in Vollzeit arbeitet, aber auch an zwei Nachmittagen die Kinder von der Kita nach Hause bringt, hätten großes Glück gehabt, „den Jackpot geknackt“. Denn als sie sich, angeregt durch eine SPD-Veranstaltung zum Thema, als Pflegeeltern bewarben, gaben sie an, sie würden auch Geschwister nehmen. Üblicherweise lernt man zunächst die Herkunftsfamilie kennen.

Die Mutter der beiden wählte das damals frisch „verpartnerte“ Paar Böhmer unter mehreren Bewerbern aus. „Sie hat sich bewusst für uns entschieden“, sagt er. Und sie spielt auch als Mutter – die alle paar Wochen zu Besuch kommt – eine Rolle im Leben der Jungs. Es gibt Papa, Papi und Mami. „Das tut ihnen gut“, sagt Böhmer. „Die Jungs stellen ja Fragen: Woher komme ich. Eine Mama gibt es in jedem Bilderbuch.“

„Ich habe nie das Gefühl, dass das nicht meine Kinder sind.“

„Es werden gute Erfahrungen mit lesbischen und schwulen Pflegeeltern gemacht“, sagt Leonhards Sprecher Marcel Schweitzer. Zahlen gibt es nicht, da die Erhebung des Merkmals „homosexuell“ nicht zulässig ist. Doch die Bewerber hätten sich oftmals noch intensiver mit dem Wunsch, ein Kind aufzunehmen, auseinandergesetzt und kennen das Gefühl, „anders zu sein“. Gleichzeitig bräuchten diese Familien ein gutes soziales Netz, um zusätzliche Ausgrenzung und Ablehnung des Pflegekindes zu vermeiden.

Schlechte Erfahrungen haben die Böhmers noch nicht gemacht. Sie zogen recht bald von ihrer kleinen Wohnung in der Neustadt in den Vorort Halstenbek, Kreis Pinneberg, in ein typisches Neubaugebiet. „Wir dachten, vielleicht kommt das dort nicht gut an. Aber das war gar nicht so. Die Nachbarn haben uns sehr gut aufgenommen.“

Was Thomas Böhmer stört, ist eben der häufig geäußerte Satz, man wäre Pflegeeltern „nur auf Zeit“. Denn das schrecke viele homosexuelle Paare ab. „Ich habe nie das Gefühl, dass das nicht meine Kinder sind.“

Und es gibt keine Studie, die belegt, dass das Aufwachsen von Kindern in Regenbogenfamilien schadet, darauf verweist Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Dagegen besagt eine Studie der Universität Bamberg aus dem Jahr 2010, dass diese Familien in der Regel sehr aufmerksame Eltern haben, die auch Kontakt zum externen Elternteil zulassen. Die Kinder könnten meist gut mit ihrer Situation umgehen und entwickelten sich „ebenso gut wie in anderen Familien“, so die Soziologin Marina Rupp in ihrem Fazit.

Hoher Bedarf an Pflege-Eltern

„Es gibt das Interesse in der Community, Kinder zu erziehen, bei Männern wie bei Frauen“, sagt Stefan Mielchen, der Vorsitzende von Hamburg Pride e. V. Leider zeigten die Erfahrungen vieler Homosexueller, dass „klassische“ Familiensituationen für stabiler gehalten werden.

Kompliziert ist der Weg zur Adoption. Noch können Homosexuelle nicht als Paar, sondern zunächst nur als Einzelperson ein Kind als ihr eigenes annehmen, das dann im zweiten Schritt auch vom Partner adoptiert wird. Ulrich nennt das „bürokratischen Irrsinn“.

Die Pflege ist der leichtere Wege, den Kinderwunsch zu erfüllen. Hier ist das Verhältnis umgekehrt, es gibt zu wenig Paare für zu viele Kinder, die ein familiäres Zuhause brauchen, und das seit Jahren.

„Allein mit Werbung kriegt man das nicht in den Griff“, sagt der frühere Jugendhilfe-Abteilungsleiter Wolfgang Hammer. Er sieht die Ursachen dafür auch in den schlechten Bedingungen. „Es wird verlangt, dass ein Partner sich ganz dem Kind widmet, auf Teilzeit geht oder auf die Berufstätigkeit verzichtet“, sagt er. Zugleich sei die Vergütung sehr schlecht, es sei „ein auf Ausbeutung angelegtes System“. Hamburg müsse das System neu aufstellen und „richtig Geld in die Hand nehmen“, um Pflegeeltern besser zu unterstützen.

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