„Es hat sich gezeigt, dass aus hetzerischen Worten auch Taten werden“

DAS BLEIBT VON DER WOCHE In Buch brennen Flüchtlingsheime, aber Innensenator Henkel will keine „Vorfestlegungen“ treffen, das Verwaltungsgericht schafft die erste Ausnahme vom Ferienwohnungsverbot, die Möglichkeit einer rot-grün-roten Koalition wird immer realer, und die Berliner Band The Feminists sorgt für Geschlechterverwirrung

Wo Protest ist, sind auch Angriffe

Flüchtlingsunterkünfte

Dass sich der Innensenator hier so ­vornehm zurückhält, ist besonders grotesk

Nein, es ist noch nicht klar, warum es am Montagmorgen in der Flüchtlingsunterkunft im Pankower Ortsteil Buch gebrannt hat. Die Polizei geht zwar von vorsätzlicher Brandstiftung aus, doch auch wenn sich das bewahrheitet, ist damit noch nicht bewiesen, dass der Täter aus rassistischer, flüchtlingsfeindlicher Gesinnung heraus gehandelt hat. Es ist auch nicht klar, wer am Montagabend den Feuerwerkskörper durch das offene Fenster einer Unterkunft in Adlershof warf, der den 17-jährigen Bewohner des Zimmers zum Glück verfehlte, und aus welcher Motivation heraus das geschah.

Klar ist: Gegen die Unterkünfte in Buch und Adlershof gab und gibt es nicht enden wollende Proteste – initiiert und gesteuert von lokalen organisierten Rechtsextremen, lange Zeit als „Bürgerprotest“ verharmlost. Klar ist auch: In Buch war der Pankower NPD-Vorsitzende noch am Montag am Tatort, am Abend hing die NPD dort Plakate auf. Und klar ist: Zwischen dem Anstieg flüchtlingsfeindlicher Proteste und dem der Straftaten gegen Unterkünfte und ihre BewohnerInnen gibt es auch in Berlin einen Zusammenhang. Dort, wo viel protestiert wird, gibt es auch besonders viele Angriffe. Daraus den Schluss zu ziehen, die Hetze begünstige das Klima für solche Taten und senke die Hemmschwelle der TäterInnen, liegt auf der Hand.

Es ist deswegen nicht etwa gebotene Vorsicht, sondern eine Schande, wenn Innensenator Frank Henkel (CDU) am Montag vor allem betont, es dürfe zum Hintergrund des Brands „keine Vorfestlegung in irgendeine Richtung“ getroffen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Tat um einen rassistischen Brandanschlag handelte, ist hoch genug, dass es eines Innensenators erste Pflicht sein sollte, sich anlässlich dieser Tat gegen flüchtlingsfeindliche Gewalt und Hetze auszusprechen. Dass sich der Innensenator hier so vornehm zurückhält, ist besonders grotesk angesichts der Tatsache, dass er sonst mit Vorverurteilungen – etwa dass alle Bewohner der Rigaer94 Straftäter seien – kaum zurückhält.

Dass aus hetzerischen Worten Taten werden, hat erst kürzlich die deutlich gestiegene Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte gezeigt. Unter den Stadtteilen ist dort übrigens Altglienicke auf den zweiten Platz hinter Marzahn vorgerückt – der Ort, wo es sich die CDU-Abgeordnete Katrin Vogel nicht nehmen lassen will, auf den Nein-zum-Heim-Demonstrationen aufzutreten. Frank Henkel ist mit seiner Haltung also offenbar genau in der richtigen Partei. Malene Gürgen

Urteil ohne dramatische Folgen

Ferienwohnungen

Die Wirkungs­losigkeit der Miet­preisbremse ist ­ungleich schlimmer

Während andere Leute Urlaub machen, viele gerne auch in Berlin, arbeiteten die Beschäftigten des Verwaltungsgerichts weiter – und bescherten der Stadt und ihren BesucherInnen am Dienstag ein Urteil, das für Aufregung sorgte. Eigentümer von Zweitwohnungen unterliegen nicht dem Zweckentfremdungsverbot, sie dürfen ihre Immobilien an Feriengäste vermieten, entschieden die Richter. Und schufen damit die erste Ausnahme vom Ferienwohnungsverbot.

Schlecht gemacht ist das Gesetz!, schimpften die einen. Jetzt werden sich noch mehr Bonzen eine Zweitwohnung in Berlin kaufen!, stöhnten die anderen. Mit diesem Urteil stehe die gesamte Stadtentwicklungsstrategie der SPD auf der Kippe!, warnte gar ein Kollege – und stellte die Einschränkung des Zweckentfremdungsverbots auf eine Stufe mit dem Scheitern der Mietpreisbremse.

Das trifft die Sache aber nicht. Es war nie zu erwarten, dass das Ferienwohnungsverbot die Mietsteigerungen in Berlin ernsthaft drosseln würde. Dafür sind die Zahlen zu gering. Schätzungen zufolge gibt es 24.000 Unterkünfte in der Stadt. Ferienwohnungen machen also nur 1,2 Prozent aller 1,9 Millionen Berliner Wohnungen aus.

Die öffentliche Debatte über das Verbot war ungleich größer. Doch ging es dabei immer auch um Symbolpolitik. Falsch ist das Gesetz deshalb noch lange nicht: Jede Wohnung, die dem normalen Mietmarkt wieder zur Verfügung steht, ist schließlich ein Gewinn.

Ja, es kann sein, dass der ein oder andere das Urteil als Schlupfloch nutzt und seine Wohnung als Zweitwohnung doch wieder an Touristen vermietet. Dramatisch sind die Folgen des Urteils aber sicher nicht.

Die Mietpreisbremse betrifft dagegen alle neuen Mietverträge der Stadt. Wäre sie gut gemacht, hätte sie großen Einfluss auf die Entwicklung des Marktes. Ihre Wirkungslosigkeit ist ungleich schlimmer. Darüber sollte man sich wirklich aufregen. Antje Lang-Lendorff

Droht die politische Spaltung?

KoalitionsSpiele

Rot-Grün-Rot hätte weniger Stimmen als manches frühere Zweierbündnis

Renate Künast ist Geschichte – und prompt setzen die Berliner Grünen zum Höhenflug an. Selbst für den Fall der Fälle sind sie gerüstet: Zwar treten die Grünen im Wahlkampf mit einem Viererteam an; sollte die Partei bei den Abgeordnetenhauswahlen am 18. September aber die Nase vorn haben, zählt Listenplatz eins. Und den hat Ramona Pop inne. Sie wäre damit die erste grüne Regierende Bürgermeisterin in Berlin.

So weit die grünen Träumereien. Die Realität spiegeln derzeit die Umfragen wider. In der Insa-Umfrage vom Freitag liegen die Grünen mit 19 Prozent zwar vor der CDU (18 Prozent), aber immerhin vier Punkte hinter der SPD, die bei der Sonntagsfrage auf 23 Prozent käme. Die Linken lägen mit 15 Prozent knapp vor der AfD (14).

Damit verfestigt sich ein Trend, der schon nach den zurückliegenden Umfragen zu erkennen war. Die SPD dürfte mit Michael Müller weiter den Regierungschef stellen, verfehlt aber das selbst gestellte Wahlziel einer Zweierkoalition. Rot-Grün-Rot in Berlin wird immer wahrscheinlicher.

Berlin hätte damit nach 2001, als Rot-Rot sein Projekt der Versöhnung zwischen Ost und West begann, die zweite linke Landesregierung seit der Wende. Auch für den Bund wäre eine Koalition aus SPD, Grünen und Linker ein spannendes Signal. Was aber würde Rot-Grün-Rot für die politische Kultur der Hauptstadt bedeuten?

Trotz eines Dreierbündnisses würde es eine solche Senatskoalition lediglich auf 57 Prozent der Stimmen bringen. Das ist weniger als manches Zweierbündnis, das in der Vergangenheit den Namen Große Koalition trug. Die Opposition aus CDU und AfD käme auf 32 Prozent, zählt man die FDP noch dazu, wären es 37 Prozent. Mit Frank Henkel als Oppositionsführer und Georg Pazderski als Antreiber von rechts stünde Berlin vor politisch polarisierenden Jahren.

Droht der Stadt damit eine politische Spaltung wie in Österreich? Vielleicht. Muss aber nicht. Je weniger Stimmen die AfD bekommt, desto geringer die Gefahr. Und sollten die Grünen die CDU weit hinter sich lassen, wird die CDU sich eh fragen, ob Frank Henkel der Richtige für sie war und ist. Uwe Rada

Weiblich?
Männlich?
Fuck it!

Quote für Rockmusik

Bookingregeln gegen die Dominanz weißer Männer auf der Bühne

Glitzernde Tops, neckische Neg­li­gés, nass geschwitzte lange Haare, Smokey Eyes und Endlosbeine in pinken Skinny Jeans: Als die Band The Feminists aus Berlin in den B.L.O-Ateliers am Nöldnerplatz am Mittwochabend die Bühne zerlegt, ist viel Sex im Spiel. Bevor jetzt die ersten FeministInnen aufhorchen: Achtung. The Feminists sind Männer.

Zumindest biologisch. Sie liefern stadionkompatiblen Kick-Ass-Rock-’n’-Roll mit Reibeisenstimme ab. Rasten vor 50 Leuten aus, als wären es 50.000. Und: Sie haben dabei Frauenklamotten an. Im Gegensatz zum klassischen Hihi-Effekt, der eintritt, wenn das „starke“ Geschlecht sich durch Crossdressing verweiblicht, passiert auf Konzerten der Feminists etwas Wunderbares: Sie tragen den Fummel mit einer Selbstverständlichkeit und Coolness, sodass niemand auf die Idee kommt zu lachen.

Eh klar, is’ ja Berlin, wa? In der Stadt der Diversitäten ist alles möglich. Jedem Kind seinen Luftballon. Doch Berlins Musikszene hat ein Frauenproblem – und nicht nur das. Im Schnitt stehen auch im toleranten Berlin zu viele Männer auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Aus diesem Grund diskutieren tatsächlich auch schon Clubs und KonzertveranstalterInnen seit einer Weile über eine Bühnenquote für Frauen und People of Colour.

Einzelne Läden wollen der Hyperpräsenz weißer Männer mittels Booking­regeln sogar derart entgegenwirken, dass mindestens eine Frau oder ein nichtweißer Mensch in der Band sein muss. Das könnte in Zukunft für reichlich Stress in der VeranstalterInnenszene sorgen. Denn wie soll man dem verdienstvollen Hintergrundgedanken in der Praxis nachkommen? Geile Bands wie The Feminists nicht spielen lassen, weil sie eigentlich – aber uneigentlich ja auch wieder nicht – Männer sind? Elena Wolf