Kommentar Der Fall „Oury Jalloh“: Die Angst vor dem M-Wort

Wie der Afrikaner starb, weiß niemand genau. Aktivisten bleiben deshalb misstrauisch: Warum hat die Justiz lange eine mögliche Todesursache ignoriert?

Ein Banner mit Oury Jallohs Gesicht und dem Schriftzug „Das war Mord“

Aktivisten machen weiter Druck Foto: imago/Christian Schroedter

Elf Jahre ist es her, dass der Sierra Leoner Oury Jalloh gefesselt in einer Polizeizelle im sachsen-anhaltischen Dessau verbrannte. Eigentlich müsste die Sache längst bei den Akten sein: Zwei komplette Prozesse wurden dazu geführt, inklusive Berufungsverfahren. Doch noch immer geben Aktivisten keine Ruhe und zwingen so Staatsanwälte und Gutachter zur Beschäftigung mit dem Fall.

Das ist gut so. Denn noch immer weiß niemand, wie genau der Afrikaner damals starb. Gar zu schnell wurde dem Toten selbst der Brandausbruch in die Schuhe geschoben, gar zu leichtfertig wurden eklatante Widersprüche übergangen, gar zu dreist wurde von Polizisten vor Gericht gelogen – so sehr übrigens, dass auch Richter an dem Fall verzweifelten.

Alles, was sich heute sagen lässt, ist: So, wie die Justiz am Anfang angenommen hat, kann es kaum gewesen sein. Das sieht offenbar auch die Staatsanwaltschaft selbst so. Nur so ist zu erklären, dass sie nach so langer Zeit ein neues, drittes Ermittlungsverfahren führt – und das so lange strikt vermiedene M-Wort in den Mund nimmt.

Denn eben das hat die Aktivisten so misstrauisch gemacht: Warum hat sich die Justiz so lange geweigert, die Möglichkeit eines Mordes auch nur zum Gegenstand einer Untersuchung zu machen? Warum wurden all die Indizien ignoriert, die der These, Jalloh habe sich selbst angezündet, entgegenstehen? Warum hat man nicht die Gutachten in Auftrag gegeben, die nötig gewesen wären, um Klarheit zu schaffen? Warum mussten die Aktivisten selbst mehrfach Sachverständige beauftragen?

Ohne diesen Druck, auch das steht fest, wäre es nie so weit gekommen. Das ist eine der guten Nachrichten: Das konsequente Beharren der Nebenkläger auf einem plausiblen, zu den bekannten Fakten passenden Tathergang hat sich ausgezahlt. Aber das war ein beinharter Kampf.

Da verwundert es kaum, dass die Aktivisten Skepsis gegenüber dem Aufklärungswillen der Justiz entwickelt haben und auch die Umstände hochgradig kritisch sehen, unter denen die längst überfälligen Untersuchungen jetzt ablaufen. Aber: Solange die Akten nicht endgültig geschlossen sind, besteht Hoffnung, irgendwann zu erfahren, was damals geschehen ist.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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