Sawsan Chebli im Interview: "Für mich ist das Wesen des Islams friedlich"

Man muss auch mit jenen Muslimen reden, die sonst keiner hört, fordert Sawsan Chebli. Sie ist Beraterin des Innensenators in interkulturellen Fragen - ein neu geschaffener Posten.

taz: Frau Chebli, Sie sind die Erste, die den neu geschaffenen Posten der Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten bei Innensenator Ehrhart Körting (SPD) innehat. Was sind Ihre Aufgaben?

Sawsan Chebli: Es sind in erster Linie auf das Thema Islam bezogene Fragen: Ich berate den Innensenator auf bundespolitischer Ebene in Sachen Deutsche Islamkonferenz - Senator Körting vertritt dort die SPD-regierten Bundesländer. Auf Berliner Ebene befasse ich mich unter anderem mit dem Islamforum. Dort ist Herr Körting ebenfalls Mitglied. Ein weiteres Aufgabengebiet ist der Transfer interkultureller Kompetenz in der Verwaltung. Zum Beispiel konzipiere ich ein Seminar für Führungskräfte der Polizei. Der besondere Charme der Stelle ist, dass sie auf der Leitungsebene angesiedelt ist und ich direkt mit dem Senator zusammenarbeite.

31, ist seit März Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten beim Innensenator. Sie studierte Politikwissenschaften an der Freien Universität, ist verheiratet und hat keine Kinder.

Warum wurde die Stelle geschaffen?

Herr Körting hat in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf den Dialog mit Muslimen und den interreligiösen Dialog gelegt. Für diese Aufgaben wollte er neben der Perspektive des Verfassungsschutzes noch eine andere Sicht darauf haben, wie der Islam in die Gesellschaft integriert werden kann.

Und die bringen Sie ein?

Ja, als Politikwissenschaftlerin, aber auch als Migrantin und Muslimin. Ich bin in Berlin geboren und zweisprachig - arabisch-deutsch - aufgewachsen. Meine Familie hat arabische, genauer gesagt palästinensische Wurzeln. Meine Eltern lebten in einem Flüchtlingslager im Libanon, bevor sie Anfang der 70er-Jahre nach Berlin kamen.

Als Flüchtlinge mit dem entsprechenden unsicheren Aufenthaltsstatuts?

Ja, mit Kettenduldung und all dem, was dazu gehört. Ich war, bis ich zwölf Jahre alt war, Staatenlose. Ich habe von klein auf erlebt, was es heißt, nirgendwo dazuzugehören und nirgendwohin zurückkehren zu können. Das war für mich die Motivation, Politik zu studieren.

Eine ungewöhnliche Wahl: Viele Migrantenkinder studieren lieber Jura, Medizin oder technische Fächer als Gesellschafts- oder Geisteswissenschaften.

Ja, aber der Nahostkonflikt und die Tatsache, das Leben als Flüchtling selbst erlebt zu haben, haben mich davon überzeugt, dass ich nichts ändern kann, wenn ich mich nicht politisch einbringe. Ich habe mich in meinem Studium schwerpunktmäßig mit dem Nahen Osten und der islamischen Welt befasst und später mehrere Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin verschiedener SPD-Bundestagsabgeordneter gearbeitet.

Haben Ihre Eltern Ihre Karriere unterstützt?

Meine Eltern hätten es auch lieber gesehen, wenn ich Jura oder Medizin studiert hätte. Ich komme nicht aus einem akademischen Elternhaus, im Gegenteil: Meine Eltern sind beide Analphabeten. Ich bin das zweitjüngste von 13 Kindern und die erste in der Familie, die studiert hat. Meine älteren Geschwister durften aufgrund ihres Flüchtlingsstatus die Schule in Berlin gar nicht besuchen. Bildung war für meine Eltern ein Ideal, aber keine Selbstverständlichkeit. Wir wurden zum Lernen angehalten - aber helfen konnten sie uns dabei nicht.

Wie haben Sie es trotzdem geschafft?

Eine gute Frage. Ich habe erst in der ersten Klasse Deutsch gelernt. Meinen Eltern war es sehr wichtig, dass wir zuhause Arabisch sprechen. Das hätte auch schiefgehen können. Ich bin in der achten Klasse einmal sitzen geblieben und habe dann irgendwann gemerkt: Jetzt muss ich aber ran. Dann habe ich mich ins Zeug gelegt und ein sehr gutes Abitur gemacht.

Zurück zu Ihrer Arbeit beim Innensenator: Der macht gerade Besuche in den islamischen Gemeinden und Einrichtungen, die zur Islamkonferenz des Bundes eben nicht eingeladen wurden. War das Ihre Idee?

Das Konzept haben wir gemeinsam entwickelt. Herr Körting war immer der Meinung, dass man mit allen Muslimen sprechen muss, die der Gewalt abschwören. Letztendlich ging es uns bei den Moscheebesuchen darum, jene Moscheevereine zu besuchen, die in der Deutschen Islamkonferenz keine Stimme haben. Ich habe die Besuche vorbereitet. Der Senator war auch schon vor meiner Zeit in vielen Moscheen und hat zahlreiche Gespräche geführt. Er kennt die Leute gut und ist ein sehr gern gesehener Gast - aber als Dialogreihe mit Teilnahme an Predigt und Gebet war es wohl das erste Mal.

Das war ein mutiger Schritt, ebenso wie der Besuch in der umstrittenen Al-Nur-Moschee, der Körting selbst einmal die Wiedereinreise eines Hardliner-Imams verweigerte. Haben Sie da beide gleichermaßen wenig Berührungsängste?

Wir müssen mit denen reden, die sonst keiner hört. Man muss diesen Leuten sagen, dass sie eine gewisse Verantwortung tragen in der Stadt. Es sind viele Jugendliche, die in die Al-Nur-Moschee gehen, und diese muss man doch erreichen. Sonst riskiert man ein Abdriften in eine parallele Welt, und das kann nicht in unserem Sinne sein. Ich komme selber aus einer sehr konservativen muslimischen Familie, ich bin mit dem Islam groß geworden. Ich weiß deshalb auch, dass konservativ nicht radikal bedeutet, und es bedeutet auch nicht: nicht integriert sein. Es finden sich auch in der Al-Nur-Moschee unterschiedliche Strömungen. Es gibt dort etliche Leute, die den Islam zwar sehr streng auslegen, aber gegen Zwang und Gewalt sind. Auch diese Leute muss man hören. Herr Körting hat in dieser Moschee eine Rede gehalten und großen Applaus bekommen.

Sind Sie selbst gläubig?

Ja. Man sieht mir das nicht an, weil ich kein Kopftuch trage. Aber ich bete, ich faste, ich esse kein Schweinefleisch und trinke keinen Alkohol. Wir müssen das auch der Mehrheitsgesellschaft vermitteln: Muslime sind ein Teil Berlins, und nur eine kleine Minderheit ist gewaltbereit, die überwiegende Mehrheit ist friedlich. Islamfeindlichkeit ist nicht nur ein Problem für Muslime, sondern auch für die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft. Mit der Islamkonferenz allein kommen wir dabei nicht wirklich weiter. Muslimische Organisationen und Moscheen müssen ihrerseits einen Beitrag dazu leisten, dass Vorurteile und Missverständnisse abgebaut werden. Sie müssen ihre Türen öfter als einmal im Jahr öffnen und zeigen, was der Islam und das Wesen dieser Religion ist. Und für mich ist das Wesen des Islams friedlich.

Ist es Aufgabe der Muslime, die Islamophobie zu bekämpfen?

Es sind zwei Seiten, die daran arbeiten müssen: die Politik, weil sie Verantwortung dafür trägt, dass wir friedlich miteinander leben, dass keine Diskriminierung stattfinden darf, Muslime die gleichen Chancen haben wie alle anderen auch, ob sie nun ein Kopftuch tragen oder nicht. Aber auch Muslime müssen einen Beitrag leisten für den Frieden in unserer Stadt. Wir brauchen mehr Vorbilder, Muslime, die beweisen, dass Muslimsein, Deutschsein und Integriertsein keine Widersprüche sind.

Ihre Stelle bei Senator Körting ist bis zur nächsten Berlinwahl im Herbst 2011 befristet. Wo sehen Sie sich später?

Es geht mir nicht um Posten oder Karriere, sondern um Veränderung. Aber man muss bestimmte Positionen erreichen, um etwas verändern zu können. Und ich möchte, dass die Leute sehen, dass Muslime, Frauen mit Migrationshintergrund erfolgreich sind und etwas leisten können. Viele Deutsche, also jene ohne Migrationshintergrund, denken, dass Migranten immer etwas von ihnen wollten, und sie als Deutsche stets geben müssten. Der Migrant ist wiederum davon überzeugt, er müsse alles geben, sich integrieren, vielleicht sogar assimilieren, um akzeptiert zu werden. Ich möchte zeigen, dass das beides so nicht stimmt. Wir müssen uns zwar integrieren, aber wir müssen unsere Wurzeln nicht aufgeben. Man kann beides verbinden, und ich glaube, das gelingt mir ganz gut. Ich möchte, dass dies Normalität in Deutschland und Berlin ist.

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