LGBT bei den Olympischen Spielen: Das Outing der nova geração

Immer mehr SportlerInnen aus Brasilien bekennen sich zu ihrer Homosexualität und positionieren sich gegen Intoleranz. Das IOC macht da nicht mit.

Zwei Beachvolleyballerinnen im Schatten, im Hintergrund die brasilianische Fahne

LGBT haben es in Brasilien nicht mehr ganz so schwer Foto: ap

RIO DE JANIERO taz | Als die brasilianische Handball-Keeperin Mayssa Pessoa sich in London 2012 als bisexuell outete, stand sie im Fokus der Medien. Bei der Olympiade in Rio gibt es drei weitere brasilianische Sportlerinnen und einen Sportler, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen. Das eigentlich bemerkenswerte dabei ist, wie wenig kontrovers dieses Bekenntnis aufgenommen wird. Der Rugby-Spielerin Isadora Cerullo wurde in einer Live-Sendung ein Heiratsantrag gemacht. Die Frau der Beachvolleyball-Spielerin Larissa França war ständig bei den Spielen dabei und gab Interviews. Und die Goldmedaillengewinnerin Rafaela Silva erzählte von der Unterstützung ihrer Partnerin.

Die Natürlichkeit des Themas in Brasilien war eine Überraschung, sogar für LGBT-Aktivisten wie den Anwalt Renan Quinalha. Nach seiner Meinung stehen die langsame Öffnung für sexuelle Vielfalt und die konservative Gesellschaft in einem Spannungsverhältnis. „In Brasilien wird viel von moralischer Freiheit geredet, aber es gibt viel Gewalt gegen LGBTs. Trotzdem sind LGBTs sichtbar in sozialen Medien und öffentlichen Debatten. Die Sichtbarkeit bringt Reaktionen mit sich“, sagt Quinalha.

Eine der Hauptstimmen in LGBT-Debatten gehört dem Abgeordneten Jean Wyllys von der linksgerichteten Partei PSOL. Er ist der einzige bekennende homosexuelle Politiker in der Geschichte Brasiliens. „Sichtbarkeit ist immer wichtig“, sagt Wyllys. „Wenn SportlerInnen, SchauspielerInnen, MusikerInnen oder Politiker sich outen, zeigen sie, dass man homosexuell, erfolgreich und glücklich leben kann. Sie sind Vorbilder.“

Wyllys glaubt, dass es für Sportler schwieriger ist, sich zu outen, als für Sportlerinnen. Denn Sport sei größtenteils durchdrungen von Homophobie und Machismo – vor allem beim Fußball. „Im Fußball gilt Schwuchtel als schlimmste Beschimpfung“, sagt Wyllys. „Aber es gibt in Brasilien auch ausgezeichnete Initiativen von homosexuelle Gruppen bei lokalen Fußballclubs.“

„Weibliche“ Lesben

Die Direktorin der Lesbisch-feministischen Organisation in Brasília, Melissa Navarro, widerspricht der Meinung, dass Outing schwieriger für Männer ist. Die brasilianische Gesellschaft mache immer noch den Unterschied zwischen „weiblichen“ Lesben und denjenigen, die nicht so feminin – und dadurch stigmatisiert – sind, sagt sie. Navarro freut sich über die Vorbilder der neuen Generation (nova geração) der Sportlerinnen. Dennoch stellt sich ihre Organisation gegen Outing-Kampagnen, da sie Homosexuelle unter Druck setzen könnten. „Es gibt in Brasilien viele Lesben im Sport, die das nicht offen sagen, weil sie befürchten, Sponsorenverträge zu verlieren.“

Der britische Wasserspringer Tom Dayle inspirierte seinen brasilianischen Kollegen Ian Matos. Der einzige bekennende schwule brasilianische Teilnehmer bei Olympia outete sich Anfang 2014. Zwei Monate später schloss er einen Sponsorenvertag mit der Sportmarke ES Collection Brasil ab. Larissa França und die Taekwondo-Kämpferin Julia Vasconcelos, beide bekennende Lesben, haben auch Sponsoren.

Vor den Spielen regte der Turmspringer Matos eine IOC-Kampagne gegen Intoleranz an. Doch nichts passierte. Der Vertreter der Organisation Artgay, Carlos Alves, erzählt, er und andere Aktivisten hätten versucht, das Komitee zu kontaktieren. Erfolglos. „Wir haben die beste Gelegenheit verpasst, Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten“, ärgert sich Alves.

Die Fortschritte im Sport sind laut den Aktivisten nicht selbstverständlich. „Rafaela Silva wurde nach ihrer Goldmedaille akzeptiert. Wenn sie verloren hätte, wäre es vielleicht anders gewesen“, sagt Aktivistin Melissa Navarro.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.