Jubiläumsfeier der Berliner Sophiensæle: Ort der Erneuerung

Die Sophiensæle waren das erste Produktionshaus der freien Szene in den 1990ern. Zum 20. Jubiläum gibt es einen Performance-Zirkus.

„The Greatest Show on Earth“: ein internationaler Performance-Zirkus für das 21. Jahrhundert Foto: Anja Beutler

Der Ort ist auratisch, nicht nur der Kunst, sondern auch seiner langen Geschichte wegen. Im heutigen Berlin ist das Haus unter dem Namen „Sophiensæle“ geläufig. Und diese Sophiensæle werden in diesem Jahr zwanzig Jahre alt: Gegründet wurde diese Berliner Institution für freies Theater im Jahr 1996. Damals kam das Nachwende-Berlin in seine erste Konsolidierungsphase, dessen Party- und Kulturleben sich unmittelbar nach 1989 den Zwischenräumen und Leerstellen der immer noch sehr lose zusammenhängenden Doppelstadt abgespielt hatte.

An diesen Orten, wo das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht zu finden war, hatte es ohne Ende Spiel-, Feier- und Theaterräume gegeben: verlassene Orte, die so voller Geschichte waren, dass man weder Bühnenbilder noch Dekorationen brauchte, sondern die pure Aura der Orte völlig ausreichend war.

Das Tacheles in der Oranienburger Straße zum Beispiel, wo 1990 eine Gruppe von Künstler*innen die Reste eines Kaufhauses besetzte, das eigentlich gesprengt werden sollte, und in dieser Ruinen entstand dann das erste Ostwest-Kunsthaus, in dem Künstler*innen aus beiden Hälften der eben noch geteilten Stadt zusammenarbeiten und aus dieser Ruine einen legendären Ort der allerersten Nachwendejahre machten.

Sophienstraße 18, 21. 9., Jubiläumsempfang (19 Uhr) und Party (ab 22 Uhr) freier Eintritt. Zirkus-Performance „Menschen! Krisen! Sensationen! The Greatest Show on Earth“, 21.–23. 9., jeweils 20 Uhr, 15/10 €

Dieser Geist zog auch mit in das alte Handwerkervereinshaus in der Sophienstraße um, wo die Tacheles-Mitbesetzer Sasha Waltz und Jochen Sandig gemeinsam mit Jo Fabian und Dirk Cieslak 1996 die Sophiensäle gründeten.

Sasha Waltz' „Allee der Kosmonauten“

Das Haus wurde unter dem neuen Namen „Sophiensæle“ (eine Schreibweise, mit der die Gründer die diversen Säle des Hauses mit ihrer Seele orthografisch verknüpfen wollten) mit einer Choreografie der gebürtigen Karlsruherin Sasha Waltz, „Allee der Kosmonauten“, eröffnet, die getanzt die Geschichte einer Familie in einem Plattenbau in besagter Allee im Bezirk Marzahn erzählte und prompt zum Theatertreffen eingeladen wurde.

Die besagte Seele der Säle wiederum wurzelt bis heute in der Geschichte des Hauses, die im 20. Jahrhundert begann: Als dieses 1904 erbaute Haus in der ehemaligen Spandauer Vorstadt mit seinen Veranstaltungssälen nicht nur eine Stätte für Vergnügung und Weiterbildung für Berliner Handwerker, sondern auch darüber hinaus ein höchst beliebter Veranstaltungsort für die kleineren Leute war – Schichten der Gesellschaft, an die das bürgerliche Kulturangebot der Theater und Opernhäuser damals definitiv nicht gerichtet war.

Könnte inzwischen die freie Szene einen Innovationsschub gebrauchen?

Hier gastierten, bis weit in die 1920er Jahre hinein, immer wieder auch jiddische Theatergruppen aus Osteuropa. Denn ihre Klientel, die jiddischsprachigen Einwanderer, wohnte sozusagen um die Ecke: in der Spandauer Vorstadt und gleich hinterm Alexanderplatz im Scheunenviertel.

Neogotisches Haus

Es ist aber auch überliefert, dass in den Sophiensälen die später ermordeten Spartakusführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht flammende Reden gehalten haben. In den Jahren der DDR waren in dem verwinkelt-verwunschenen neogotischen Haus dann die Werkstätten des Maxim Gorki Theaters untergebracht. Seit zwanzig Jahren operieren an diesem Ort nun die Sophiensæle, als freies Arbeits-, Präsentations- und Produktionshaus, genauer gesagt: das Erste seiner Art in Berlin.

Zum Jubiläum wird hier unter dem Motto „Menschen, Krisen, Sensationen“ ab dem 21. September die Jubiläumsspielzeit eingeläutet: zunächst mit einem gleichnamigen Festival, das, so die Hoffnung der Sophiensæle-Macher, das spröde und kunstige Image der Performance-Kunst etwas aufpeppen soll.

So gibt es zum Auftakt das zirkusartige Performance-Medley „The Greatest Show on Earth“, an dem Künstler*innen wie Philippe Quesne, Vincent Riebeek und Florentine Holzinger, Le Truc, Jeremy Wade und Antonia Baehr beteiligt sind. Die Performer Jörn J. Burmeister und Florian Feigl präsentieren unter dem Dach des Festivals außerdem ihr autopoetisches Synchroncabaret „Neo Neo Dada“. Das allerdings klingt schon wieder schwer verkunstet.

Im Dezember kehrt dann auch Sasha Waltz’ Choreografie „Allee der Kosmonauten“ in die Sophiensæle zurück: jene Produktion, die einmal nicht nur die denkwürdige Eröffnung dieser Spielstätte, sondern auch einen Epochenwechsel markierte.

Aufstieg der freien Szene

Denn mit diesem Abend begann die freie Szene in einer Liga mit den festen und finanziell gut ausgestatteten Stadt- und Staatstheatern zu spielen – und lange war es dann so, dass entscheidende Impulse für die festen Häuser aus der freien Szene gekommen sind, auch Intendant*innen großer Theater wie Karin Beier, Lars-Ole Walburg, Stefan Bachmann oder Sebastian Hartmann aus der freien Szene kamen – Walburg, heute Intendant in Hannover, Bachmann, der heute das Kölner Theater leitet, und Sebastian Hartmann, zuletzt Intendant in Leipzig, hatten einst auch zu den Tacheles-Besetzern gehört.

Und wie ist es inzwischen? Könnte vielleicht inzwischen die freie Szene einen Innovationsschub gebrauchen? Vielleicht ist das Sophiensæle-Jubiläum ja eine gute Gelegenheit, einmal darüber nachzudenken.

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