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: Bibelstory in Transsylvanien

István Szőts: „People of the Mountains“ (1942)↓

Ein Akt der Verzweiflung: Weil Gergely den Transport seiner toten Frau zurück in die Heimat nicht bezahlen kann, löst er ein Ticket für sie, trägt sie in den Zug und erzählt den Mitreisenden, sie sei schwer krank. Ein Blick des Nebenmanns ins Gesicht der Frau freilich genügt und gleich weiß das ganze Abteil Bescheid. Ein Schauder durchfährt Männer und Frauen, Gergely erklärt seine Lage – und als der Kontrolleur kommt, halten sie dicht. Minutenlang fährt die spontane Trauergemeinde so schweigend, schwankend zwischen Entsetzen und Mitleid, dunkel, verschattet gefilmt. Die tote Frau, Anna, sehen wir nur als lebloses Bündel.

Dieses Drama nahm seinen Lauf, als ein Kapitalist Grund und Boden in den Bergen aufkauft, auf dem die Waldarbeiter bis dahin selbstständig waren. Er bietet Gergely und den anderen einen Job in seinem Sägewerk und Geld und ein Haus. Gergely nimmt nach langem Zögern das Angebot an. Die Kamera blickt von unten ins Gesicht des Firmenbesitzers nach oben; sie blickt von oben nach unten ins Gesicht Gergelys. Immer wieder gibt es diese Großaufnahmen von Gesichtern. Es sind, dem Plural des Titels zum Trotz, Individuen, die hier ihre karge Existenz fristen. Regisseur István Szőts hat in den Nebenrollen viele Laien besetzt.

Harter Realismus also, einerseits. Was nicht dagegen spricht, die denkbar größte Bibelgeschichte darüberzublenden: Gergely, Anna und Gergö, das neu geborene Kind, sind eine heilige Familie in größter Not. Die Not wird viel größer, als der Firmenbesitzer die schöne Anna – sie ist mit dem Kind alleine zu Hause – bedrängt und vergewaltigen will. Sie wehrt sich, kann fliehen, eine Kerze kippt um, das Haus brennt ab. Und Anna hat an ihrer Seele Schaden genommen. Kein Mensch, kein Arzt, kann ihr helfen, auch ihr Mann nicht. Sie stirbt, Gergely bringt sie in der schaurigen Zugfahrt nach Hause. Gegen Ende des Films ist Weihnachten, ein Krippenspiel wird inszeniert. So schließt sich der Kreis: Man sah am Anfang, wie Anna und Gergely, des Lesens der Bibel kaum kundig, allein in den Bergen, das neugeborene Kind selbst zu taufen versuchten.

„Menschen in den Bergen“ verbindet seinen Realismus mit lyrischen Momenten und expressiver Kameraarbeit, zu der scharfe Kontrastbildungen gehören, der Mensch im Relief gegen Natur, Schnee und Berg (spektakulär: die transsylvanische Landschaft). Als Anna taumelt, taumelt auch die Kamera einmal subjektiv mit. Ideologisch verbindet der 1942 entstandene Film Volksreligiosität, Verbundenheit mit der Scholle und Solidarität mit den Arbeitern gegen den rohen Kapitalisten. „Menschen in den Bergen“ lief beim Festival von Venedig und gewann dort den Preis. Geliebt wurde er freilich weder von den in Italien regierenden Faschisten noch vom ungarischen Horthy-Regime, das nicht zu Unrecht sozialistische Neigungen darin erkannte.

Auf den Film haben sich unter anderem die italienischen Neorealisten bezogen, keine Liste der wichtigsten ungarischen Filme lässt ihn aus. Dennoch ist er weithin vergessen. Das hat auch mit den Folgefilmen des Regisseurs zu tun. 1947 drehte Szőts unter den Kommunisten. „Gesang der Felder“ missfiel dem Regime, weil man darin Ungarn in sowjetischen Gefangenenlagern sieht. Der Film wurde verboten, lief bis 1979 nicht. Das nächste Projekt nahm man Szöts aus der Hand. So blieb es bei diesem einen Meisterwerk, das jetzt wieder erhältlich ist.Ekkehard Knörer

Die DVD ist für circa 12 Euro als Import aus Großbritannien erhältlich