Verein gegen Aufklärung in Schleswig-Holstein: Sexuelle Vielfalt eingestampft

Der Verein „Echte Toleranz“ unternimmt einen weiteren Vorstoß gegen Aufklärung über sexuelle Vielfalt und wirft Schleswig-Holstein vor, Kinder zu „indoktrinieren“.

Keine klassische Familie: Moderatorin Anne Will (r) und ihre Lebensgefährtin Miriam Meckel Foto: dpa

KIEL taz | „Sodomie, Pädophilie, Fetischismus“ als Lernziele? Wer flüchtig durch ein Gutachten des Hamburger Rechtsanwalts Christian Winterhoff blättert, mag fürchten, dass die Kinder in Schleswig-Holstein demnächst in Lackleder in die Grundschule gehen müssen.

Das Gutachten ist ein weiterer Vorstoß eines Vereins namens „Echte Toleranz“ gegen Unterrichtsmaterial, das unter dem Titel „Echte Vielfalt“ über Spielarten der Sexualität aufklären wollte. Anfang 2015 sorgte das für politische Debatten: CDU und FDP warfen dem SPD-geführten Sozialministerium vor, Geld für „unbrauchbares“ Material ausgegeben zu haben.

Im Rückblick sieht auch die Opposition den Fall skeptischer. Veröffentlicht und eingesetzt werden die „Echte Vielfalt“-Texte aber bis heute nicht. Das Sozialministerium hat sie ans Bildungsministerium weitergeleitet, dort sollen sie „in Leitlinien eingearbeitet werden“.

„Das Ministerium ist eingeknickt“, sagt Konstanze Gerhard. Sie war Sprecherin des Lesben-Schwulen-Verbandes Schleswig-Holstein (LSVD), als der im Auftrag des Sozialministeriums die Kampagne „Echte Vielfalt“ entwickelte – die hatte der Landtag mit allen Stimmen bis auf die der CDU im Jahr 2014 beschlossen. Teil der Kampagne war Aufklärungsunterricht an Schulen. Der LSVD beauftragte dafür das Institut Petze, das seit Jahren kindgerechtes Material gegen sexuellen Missbrauch entwirft.

20.000 Euro erhielt Petze vom LSVD. Konstanze Gerhard stellt klar: „Es ging nie darum, verbindliche Leitlinien zu erstellen, die im Lehrplan verankert sind. Sondern es sollte Material sein, auf das Grundschullehrkräfte zurückgreifen können, wenn das Thema Homosexualität auftaucht.“ Also zum Beispiel, wenn ein Kind in der Klasse ein lesbisches oder schwules Paar als Eltern hat. Entsprechend flapsig hieß es in einer ersten Fassung der geplanten Broschüre: Eine Familie könne „zwei Mamas, zwei Papas, hin und wieder auch Mama und Papa“ haben.

Dass die klassische Kernfamilie auf einmal zur Randerscheinung wurde, regte die Opposition auf. Und: Es ging um das Geld, das vom LSVD an die Petze weitergegeben wurde. Bis heute sagt Volker Dornquast (CDU): „Es gab einen Werkvertrag, der eine Leistung fordert – die Leistung wurde nicht erbracht, also floss das Geld rechtswidrig.“ Inhaltliche Details „interessieren uns nicht“, sagt er. Die CDU sei nicht gegen Aufklärung gegen Homophobie. „Aber wie leider oft bei dieser Landesregierung: Es wird etwas mit großem Brimborium gestartet, ist aber schlecht vorbereitet und klappt am Ende nicht.“

Die FDP-Landtagsabgeordnete Anita Klahn sprach 2015 von einem „faden Beigeschmack“. Heute sagt sie: „Wir fanden damals manches seltsam. Aber mit den Verträgen ist offenkundig alles in Ordnung.“ Der Tipp, sich mit dem Material zu befassen, war bereits damals vom Initiator des Vereins „Echte Toleranz“ gekommen. Dessen Verhalten sei aber „zunehmend befremdlich“ gewesen, so Klahn.

Der Verein nennt auf seiner Internetseite als „Mission Statement“ den „Schutz der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt“, einziger Inhalt ist aber die Auseinandersetzung mit sexueller Vielfalt. Immer wieder arbeitet sich der Verein an dem „Methodenschatz“ ab. Dazu passt das vom Verein in Auftrag gegebene Gutachten, das vor allem aus einer Zitatsammlung verschiedener Urteile besteht, denen der Autor durch Unterstreichungen den gewünschten Tonfall verleiht.

So bezieht sich der Satz mit der Sodomie als Lernziel auf einen Gesetzestext aus Nordrhein-Westfalen – der macht klar, dass der Gesetzgeber eben nicht „jegliches Sexualverhalten als Lernziel vorgeben“ wolle.

Das Problem ist: Die kritisierten Texte des „Methodenschatzes“ waren nie für den Unterricht gedacht. Es handelt sich um Bausteine, die „ im Entwurf-Stadium an die Öffentlichkeit gelangten, um vorab Stimmung zu machen“, sagt Ministeriumssprecher Christian Kohl.

So klare Aussagen fehlten im Jahr 2015. Das Ministerium hielt sich bedeckt, die anderen Beteiligten hatten „sozusagen einen Maulkorb“, bemängelt Anita Klahn: „Das war geradezu albern.“ Auch Konstanze Gerhard war damals verpflichtet, nichts über die Details der Verträge zu sagen. Heute, da sie aus den Ämtern geschieden ist, will sie sich nicht mehr daran halten.

Sie bedauert vor allem das Ergebnis: „An die wichtige Aufklärung über queere Lebensweisen traut sich zurzeit keiner mehr richtig heran.“

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