Wahlrecht für Nicht-Deutsche: Ausländer setzen auf Rot-Rot-Grün

Jede/r siebte BerlinerIn darf nicht wählen, weil das Wahlrecht am Pass hängt. Der künftige Senat müsse das ändern, fordert die Organisation „Citizen for Europe“.

Wollen nicht länger BürgerInnen zweiter Klasse sein: Séverine Lenglet, Logan Kizito-Elad und Hilary Bown (v.l.n.r.) vom Berliner Bündnis „Wahlrecht für alle“ Foto: Susanne Memarnia

Sie gehen arbeiten, zahlen Steuern, engagieren sich in ihrem Umfeld – aber mitbestimmen, wer sie regiert, können sie nicht. Rund 480.000 erwachsene BerlinerInnen – das sind knapp 14 Prozent der Ü-18-Gesamtbevölkerung* – dürfen am Sonntag nicht zur Abgeordnetenhaus-Wahl gehen, weil sie keinen deutschen Pass haben. Das muss sich ändern, fordern die Organisation „Citizens for Europe“ und das Berliner Bündnis „Wahlrecht für alle“.

Viele BerlinerInnen fühlten sich mangels Wahlrecht als „BürgerInnen zweiter Klasse“, sagt Séverine Lenglet, als Französin, die seit 11 Jahren in Berlin lebt, selbst betroffen, und bei Citizen for Europe aktiv. Es sei frustrierend, diejenigen nicht wählen zu können, „die meinen Alltag gestalten, zum Beispiel in Punkto Schulen, Verkehr, Wohnen“.

Im Vorfeld der letzten Abgeordnetenhauswahl 2011 hatte sich das Bündnis „Wahlrecht für alle“ als Zusammenschluss von über 40 Gruppen gegründet und als erste Aktion eine Testwahl für AusländerInnen organisiert. Seither wirbt die Gruppe für ihre Forderung nach einem kommunalen und regionalen Wahlrecht für alle volljährigen BerlinerInnen.

Mit Erfolg, sagt Martin Wilhelm, Geschäftsführer der EU-weit tätigen Organisation „Citizens for Europe“, die das Berliner Bündnis koordiniert. So hätten sich im Rahmen des Volksentscheids zum Tempelhofer Feld 2014 alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses – bis auf die CDU – für ein berlinweites AusländerInnenwahlrecht ausgesprochen.

Volksentscheide ohne Betroffene

Damals seien rund 160.000 Menschen im direkten Wohnbereich des Feldes als Nicht-Deutsche vom Volksentscheid ausgeschlossen gewesen, so Wilhelm. Diese Absurdität habe viele BerlinerInnen bewegt – und die Parteien hätten versprochen, dies zu ändern. „Wenn Rot-Rot-Grün an die Macht kommt, müssen sie ihre Versprechen einhalten“, fordert er nun.

Entgegen der landläufigen Meinung sei die Einführung eines AusländerInnenwahlrechts auch auf Länderebene möglich. Es bedürfe lediglich einer 2/3-Mehrheit im Abgeordnetenhaus zur Änderung der Landesverfassung – was mit Rot-Rot-Grün knapp möglich werden könnte.

Allerdings war 2014 ein ähnliches Gesetz von Rot-Grün in Bremen am dortigen Staatsgerichtshof, dem Bremer Landesverfassungsgericht, gescheitert. Die Mehrheit der Richter hatte argumentiert, dass zum „Volk“, von dem laut Grundgesetz „alle Macht“ ausgeht, nur deutsche Staatsangehörige gehören.

Gang nach Karlsruhe abwarten

Die Ansicht fuße aber auf einem Urteil des Bundesverfassungsgericht von 1990, erwidert Citizen für Europe – im Jahr 2016 sei diese Verbindung von „Volk“ und „deutsch“ offenkundig überholt. So solle Berlin ruhig abwarten, ob etwa die CDU gegen ein Berliner AusländerInnenwahlrecht Klage erhebt – und ob dann nicht Karlsruhe seine frühere Rechtsauffassung revidiert.

In anderen Ländern sei man ohnehin weiter, sagt Wilhelm. „In 15 EU-Ländern ist das AusländerInnenwahlrecht, auch für Nicht-EU-Bürgerinnen bereits etabliert.“ In Deutschland wurde 1992, nach den Maastrichter Verträgen der EU, das Grundgesetz dahingehend geändert, dass EU-BürgerInnen seither auf kommunaler Ebene mitwählen dürfen – in Berlin also die Bezirksparlamente.

Das sei ja auch „ganz nett“, findet Lenglet. „Aber die BVV ist ein reines Verwaltungsorgan, die Gesetze für Berlin werden im Abgeordnetenhaus gemacht.“

*Bevölkerungsdaten vom Statistischen Landesamt Berlin-Brandenburg, Stand: 31. Dezember 2015

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