Linker Protest gegen Flüchtlingsheime: „Für jede Wohnnutzung unattraktiv“

Am Mittwochabend will die Initiative Berlin für Alle gegen den Bau modularer Flüchtlingsunterkünfte protestieren – warum, erklärt Architekt Philipp Kuebart.

Sammelunterkunft statt eigene Wohnungen: MUF in Marzahn

taz: Herr Kuebart, in den Modularen Unterkünften für Flüchtlinge, kurz MUFs, sollen tausende Flüchtlinge untergebracht werden, die dann nicht mehr in Turnhallen und Hangars hausen müssen. Was haben Sie dagegen?

Philipp Kuebart: Natürlich befürworte ich, dass die Flüchtlinge zu besseren Bedingungen untergebracht werden als derzeit. Ziel sollte dabei aber sein, langfristige Wohnperspektiven für die Geflüchteten zu schaffen und gleichzeitig die bereitgestellten Grundstücke und Mittel so einzusetzen, dass die Quartiere bedarfsgerecht entwickelt werden. Dafür brauchen wir günstige und gute Wohnungen, keine eingezäunten Wohnheime für jeweils 450 Personen.

Aber die MUFs sollen doch nach ihrer Nutzung als Flüchtlingsunterkünfte auch Wohnraum für andere Bevölkerungsgruppen bieten?

Dass dies immer wieder so dargestellt wird, ärgert mich, denn es entspricht nicht der Realität. Der Amtsentwurf für die MUFs, nachdem jetzt die ersten zehn Unterkünfte gebaut werden, sieht Gemeinschaftsunterkünfte für 15 Leute pro Etage mit geteilten Bädern und Küchen vor. Diese in Wohnungen umzubauen wäre enorm kostspielig und die Einhaltung der Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus wäre unmöglich.

Eine spätere Nutzung als Obdachlosenunterkünfte oder Studentenwohnheime käme aber in Frage?

Auch diesen Nutzergruppen wäre in der Regel mit Wohnungen besser gedient. Vor allem auf problematischen Grundstücken ist es wichtig, Gebäude zu planen, die der städtebaulichen und sozialen Situation vor Ort angepasst sind. Die MUFs weisen zudem klare planerische Mängel auf, die sie für jede dauerhafte Wohnnutzung unattraktiv machen.

Welche zum Beispiel?

Zum Beispiel die hohe Gebäudetiefe von 18 Metern, die zu erheblichen Dunkelzonen führt. Die Wohneinheiten haben teils fensterlose Wohn- und Essbereiche, die baurechtlich gar nicht als Aufenthaltsräume gelten. Unter dem Druck, schnell viele Leute unterbringen zu müssen, kam der gesunde Planungsverstand abhanden.

Die Initiative Berlin für Alle veranstaltet am Mittwoch ab 18 Uhr eine Kundgebung gegen den geplanten Bau einer MUF an der Franz-Künstler-Straße in Kreuzberg. Der Protest richte sich gegen die "mangelhaften Wohnbedingungen", die den BewohnerInnen die "dringend benötigte Privatsphäre" vorenthalten würden, sagen die AktivistInnen. Von rechten Protesten gegen Flüchtlingsheime grenzt sich die Initiative scharf ab, man fordere "Wohnungen für alle, egal ob aus Reutlingen oder Aleppo". (mgu)

Diesen Druck gibt es ja tatsächlich. Welche Lösung schlagen Sie vor?

Schneller und gleichzeitig günstiger wäre in vielen Fällen die Umnutzung von leerstehenden Gebäuden, Büroflächen und Ferienwohnungen, insbesondere den illegalen. Das bedeutet zwar mehr Planungsaufwand, aber die Kapazitäten dafür sind in Berlin ja durchaus gegeben, wenn auch durch den Personalabbau nicht mehr innerhalb der Verwaltung. Externe Planungsbüros zu beauftragen könnte sich in vielerlei Hinsicht lohnen.

Ob der Bestand ausreichen würde, ist aber fraglich.

Richtig, deshalb geht es auch nicht darum, Neubau oder modulare Bauweisen prinzipiell abzulehnen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte im Mai einen Wettbewerb ausgeschrieben, der aber leider nicht auf konkrete Realisierungen abzielte. Für diesen haben wir als Netzwerk politisch engagierter Architekt_innen einen eigenen Vorschlag zur Entwicklung des Franz-Künstler-Areals in Kreuzberg, das auch als MUF-Standort vorgeschlagen war, eingereicht. Dabei arbeiten wir unter anderem mit schnell zu errichtenden ein- bis zweigeschossigen Holzmodulen, die von Beginn an abgeschlossene Wohneinheiten bieten und die später als Bauteile für größere langfristige Gebäude integriert werden können. Vor allem geht es darum, dass Geflüchtete und andere Nutzer_innen gemeinsam das Gelände bewohnen.

Gleich langfristig planen, statt später wieder anders bauen zu müssen – klingt gut. Aber wären Ihre Vorschläge teurer geworden als der Amtsentwurf?

Philipp Kuebart, 35, studierte in Stuttgart und an der TU Berlin und arbeitet heute im Architekturbüro solidar Architekten und Ingenieure

Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, weil wir bisher keine belastbare Kostenplanung machen konnten. Klar ist aber, dass die Baukosten der MUFs vergleichsweise hoch sind – für diesen Preis reguläre Wohnungen zu bauen, wäre auf jeden Fall möglich. Und das würde nicht nur den Flüchtlingen zugute kommen, sondern auch den umliegenden Quartieren, in die eine Integration dadurch viel leichter möglich wäre. Ich hoffe, dass zumindest die Wohnbaugesellschaften und die Berlinovo, die jetzt für die weiteren Standorte planen und bauen sollen, die Chance nutzen, um auf den bereitgestellten Flächen bezahlbare Mietwohnungen zu bauen. Davon hätten am Ende alle etwas.

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