Musikverliebtes Mali

Dokfilm „Mali Blues“ erzählt von der Kunst wie der Angst der vom radikalen Islamismus bedrohten Musiker

Fassungslos schüttelt die malische Sängerin Fatoumata Diawara den Kopf. Sie hockt mit dem Tuareg-Musiker Ahmed Ag Kaedi zusammen und spricht mit ihm über dessen Flucht aus dem Norden Malis in die Hauptstadt Bamako. Der Gitarrist berichtet in konsterniertem Tonfall, wie Dschihadisten in seiner Heimatstadt Kidal erst sein Equipment von ihm erpresst und es dann angezündet hätten. „Ich erkenne das Land nicht mehr wieder“, entgegnet Diawara ihm, „unglaublich, in einem Land wie Mali Angst zu haben, Musik zu spielen …“

Von dieser Angst vor Terror, von der tiefen Zerrüttung des westafrikanischen Landes erzählt der nun in den Kinos startende Dokumentarfilm „Mali Blues“. Der deutsche Regisseur Lutz Gregor begleitet darin vier bekannte Musikerinnen und Musiker des Landes beim Proben, in Gesprächen, im Alltag und bei Auftritten. Neben Ahmed Ag Kaedi und der schillernden Songwriterin Diawara sind dies der junge Rapper Master Soumy und der über Mali hinaus bekannte Ngoni-Spieler Bassekou Kouyaté. Viele Musiker und Kreative sind nach Bamako geflüchtet, wo die Lage zumindest zum Zeitpunkt des Drehs etwas stabiler war, während die islamistischen Terrormilizen wie Ansar Dine im Norden aktiv waren.

„Mali Blues“ zeichnet nun einerseits ein ziemlich genaues Bild der aktuellen Musikszene zwischen Rap, Reggae, Griot und Rock – die Szene will der Angst etwas entgegensetzen und ruft via Festivals zu Demokratie und Einigkeit unter den vielen Ethnien Malis auf. Das gemeinsame Musikmachen stellt dabei wie auch die Musikfestivals, das sieht man im Film deutlich, einen Hoffnungsschimmer für die Bevölkerung dar.

Der Sound, den die Musiker spielen, ist beeindruckend: Bassekou Kouyaté jagt den Klang seiner Laute durchs Wah-wah-Effektgerät und den Verzerrer, Fatoumata Diawara mischt traditionellen Griot-Gesang mit Singer-Songwriter-Schemata, Rapper Master Soumy lässt sich von Reggae und Ragga inspirieren und nennt sich den „Anwalt der Straße“. Die oft religiösen und gospelartigen Texte, die häufigen Gottesanrufungen mögen dabei für den ein oder anderen Pop-Sozialisierten gewöhnungsbedürftig sein – säkular gibt sich am ehesten der Mann mit der rockenden Laute, Bassekou Kouyaté.

Andererseits ist der Film ein Gesellschaftsporträt des Landes. Denn noch bemerkenswerter als der Sound sind wohl die Sequenzen, in denen man in das Sozialleben blickt. So kehrt Sängerin Diawara („Die Musik ist unsere Heilanstalt“), die eigentlich seit Langem in Frankreich lebt, in ihr Heimatdorf zurück und singt ein Lied über die Klitorisbeschneidung an jungen Mädchen – daraus entsteht eine Diskussion unter den Frauen des Dorfes. Eindrucksvoll, wie die Sängerin leise feministische Töne in ihr Dorf trägt.

Ebenso interessant ist es, wenn Regisseur Gregor Rapper Master Soumy bei einem Moscheebesuch filmt und im Anschluss den Imam der Gemeinde interviewt. Zunächst spricht dieser über den Umgang mit Musik im Islam: „Wenn nichts Ausfallendes in der Musik vorkommt, das zum Bösen verleitet, wenn man also im Guten feiert, verbietet der Islam die Musik nicht.“ Sowohl dessen Unterscheidung in „gute“ und „böse“ Musik ist vielsagend, genauso seine Sicht auf den Dschihadismus, als er von einem von Europäern und Amerikanern geschaffenem Phänomen spricht.

„Mali Blues“ ist ein Film, der einem die Konflikte in Mali und die Gesellschaft des Landes ausschnittsweise näherbringt. Darüber hinaus zeigt er mit langen, ruhigen Totalen, die die Landschaft und die Stadt Bamako abbilden, die Schönheit Malis. In erster Linie aber weckt er Begeisterung für ein musikverliebtes Land, dessen musikalische Vielfalt bedroht ist. Jens Uthoff

„Mali Blues“. Regie: Lutz Gregor. Darsteller: Fatoumata Diawara, Ahmed Ag Kaedi, Bassekou Kouyaté u. a. Dokumentarfilm, D 2016, 93 Minuten