Chirurgischer Schlag im Dunkeln

KaschmirKonflikt Indien will mit einer Militäroperation auf pakistanischem Boden dortige Terroristen getötet haben, Pakistans Armee will aber davon nichts wissen

Patrouille in Srinagar: Im indischen Teil Kaschmirs ist die Lage seit Wochen angespannt Foto: Farooq Khan/ dpa

AUS MUMBAI Fabian Kretschmer

Die jüngste Eskalation an der indisch-pakistanischen Grenze ist auch ein Informationskrieg: Pakistans Armee behauptet, zwei ihrer Soldaten seien Donnerstagfrüh bei einem Feuergefecht getötet und neun weitere verletzt worden. Indiens Militär hingegen spricht von einem „chirurgischen Schlag“ gegen sieben terroristische Abschussrampen auf dem pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs.

Damit räumt Indien erstmals seit 45 Jahren eine Militäraktion in Pakistan ein. Ob aber tatsächlich indische Soldaten über die Grenze gelangt sind, ist bisher nicht zu verifizieren. Es könnte sich auch um einen Drohnenangriff handeln.

Dass Indiens Armee die Militäroperation überhaupt anerkennt, wird vor allem als innenpolitisches Zeichen gedeutet: „Die Rufe der indischen Öffentlichkeit nach einem Vergeltungsschlag wurden immer lauter. Premierminister Narendra Modi wollte signalisieren, dass er bei den jüngsten Angriffen nicht untätig bleibt“, sagt Sameer Patil, Experte für nationale Sicherheit des Thinktanks Gateway House in Mumbai.

Am 18. September hatte die pakistanische Terrorgruppe Jaish-e-Mohammad eine indische Militärbasis in der Stadt Uri angegriffen und 18 Soldaten getötet. Es war der schwerwiegendste Angriff auf Indiens Militär seit 2002. Bald unterstellte Premierminister Modi, die Terroristen hätten im direkten Auftrag von Pakistans Regierung gehandelt. Die Beziehungen der beiden Atomstaaten sind seitdem auf einem Tiefpunkt.

„Der Angriff signalisiert den Aufstieg eines neuen Indiens“

Amit Shah, Chef der Regierungspartei

Am Montag hatte Modi noch gedroht, die eigentlich vertraglich geregelte Verteilung des Indus-Wassers zwischen Indien und Pakistan als politisches Druckmittel anzuwenden. Mit dem Satz „Blut und Wasser können nicht zur gleichen Zeit fließen“ kündigte er den Bau weitere Staudämme entlang des indisch-pakistanischen Flusses an.

Seit der Unabhängigkeit und Teilung Britisch-Indiens 1947 erheben sowohl Pakistan wie Indien Anspruch auf Kaschmir. Beide Atommächte haben seitdem zwei Kriege um das Grenzgebiet geführt. Dass der Konflikt nun außer Kontrolle geraten könnte, glaubt der Sicherheitsexperte Sameer Patil jedoch nicht: „Indiens Militär hat bereits angekündigt, keine weiteren Militäraktionen zu planen. Für mich ist das ein Zeichen der Deeskalation.“ In den sozialen Netzwerken hingegen zelebrieren viele Inder den Militärangriff regelrecht. Prominenter Zuspruch kommt dabei vom Parteivorsitzenden der hindunationalistischen BJP, Amit Shah, der Modi auf Twitter „gratuliert“: „Der heutige Angriff signalisiert den Aufstieg eines neuen Indiens.“

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