Kolumne Rollt bei mir: Pionierin im Geigenunterricht

Als einzige Person mit Behinderung werde ich oft wertschätzend dafür wahrgenommen, ganz alltägliche Dinge zu tun.

Golferin mt Pokal

Einen Pokal bekommt man als behinderte Person fast schon für's pünktliche Erscheinen Foto: ap

Man kennt das vielleicht als deutscher Urlauber: Landsfrauen und -männer in Sandalen und weißen Tennissocken, garniert mit einem Achselshirt. Man rollt die Augen und denkt sich, „toll, jetzt ist der Ruf erst mal weg …“.

So wie die Trendsetter gefühlt die Messlatte für die anderen Urlauber (runter)setzen, so empfinde ich mich in vielen Situationen als Repräsentantin – zumindest bekomme ich oft den Eindruck, ich werde als solche gesehen.

Oft bin ich deshalb die Einzige. Ich war zum Beispiel die einzige Person mit einer Behinderung in meiner Klasse. Und damit offenbar eine Spezies für sich. Es gab zwar einige Kinder mit Brille, große, dünne, kleine, dicke. Diese Merkmale scheinen aber nicht ausreichend für eine Klassifizierung – eine Behinderung schon. Also war ich die Behinderte.

An der Uni war ich auch die Einzige, ebenso auf Partys, in Redaktionspraktika. Bei jedem Praktikum in jeder Redaktion, ob in Deutschland oder im Ausland die gleiche Szene: Ich wurde herumgeführt und bei jeder Einweisungsrunde hieß es entschuldigend: „Unsere Räume sind noch nicht ideal, es gibt auch keine Behindertentoilette“, man guckte unschuldig auf den Boden – und erwartete den Ablassbrief von mir.

Am Ende des Praktikums konnten die Verantwortlichen dann tief durchatmen und sich auf die Schulter klopfen: Hat ja doch alles geklappt, Quote erfüllt. In Zukunft könne man es ja erneut wagen, man hatte ja jetzt Übung und Erfahrung. Als wäre ich die Quotenbehinderte, als würde ich alle Behinderungen in mir vereinen.

Ich habe oft versucht, den bestmöglichen Eindruck zu hinterlassen – gut, das mag so ziemlich jeder versuchen. Aber ich wurde schließlich als Repräsentantin aller Menschen mit Behinderung gesehen.

Ich war die einzige Person mit einer Behinderung in meiner Klasse. Und damit offenbar eine Spezies für sich. Es gab zwar einige Kinder mit Brille, große, dünne, kleine, dicke. Diese Merkmale scheinen aber nicht ausreichend für eine Klassifizierung

Und wenn ich keine gute Figur machte? Verschlafen hatte oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zurechtkam? Dann hatte ich Angst, dass dies den „Behinderten“ angelastet würde. Was für eine dämliche Verantwortung und was für eine Last.

Und obwohl beim ersten Mal oft Angst und Unsicherheit mit dabei sind, war ich schon ein bisschen stolz darauf, die Erste beim Geigenunterricht zu sein, die eine Behinderung hat. Dabei ist ja Geigenunterricht nichts Außergewöhnliches. Ich war nicht die Erste auf dem Nordpol. Ich habe auch keinen Rekord in Was-weiß-ich aufgestellt. Aber trotzdem war ich doch irgendwie Pionierin – durch bloße Anwesenheit in einer alltäglichen Situation.

Diese alltägliche Situation wird aber manchmal – so scheint mir – von beteiligten Personen eben nicht als alltäglich eingestuft. Durch die Beteiligung eines Menschen mit Behinderung ist sie für sie auf einmal neu.

Eine ungewohnte Situation sollte man als Chance sehen. Ist schließlich nicht alles im Leben einmal neu gewesen? Es ist eine Möglichkeit, Berührungsängste abzubauen um das nächste Mal gelassener und souveräner zu sein. Eine ungewohnte Situation als Chance sehen – ein Rat, den ich selbst viel zu oft nicht beherzige. Obwohl ich doch Pionierin des Alltags bin.

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Judyta Smykowski, geboren 1989 in Hamburg, Studium des Onlinejournalismus und Kulturjournalismus in Darmstadt und Berlin, arbeitet als Texterin und Referentin beim Berliner Sozialhelden e.V. und als freie Redakteurin bei der taz. In ihrer Kolumne schreibt sie über das Leben mit Rollstuhl und den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen.  

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