Cool, hautfarben und oxidiert

SYNTHIEPOP Die kalifornische Künstlerin Nite Jewel gab am Montagabend im Berliner „Urban Spree“ ein umjubeltes Konzert

Hier sind meine Fingernägel: Nite Jewel am Montagabend im Berliner Club Urban Spree Foto: Lia Darjes

von Sophie Jung

Es ist immer noch die Gretchenfrage des elektronischen Pop: Wie funktioniert seine Musik in der Konzertsituation auf der Bühne? Die Britin Planningtorock behalf sich etwa damit, dass sie die Houseproduzentin und DJ rRoxymore mit auf die Bühne holte, die im Hintergrund die Drummachine bediente, obwohl Planningtorock alle Songs auch alleine per Knopfdruck hätte abspielen können. Als Fever Ray 2009 für ihr Solodebüt auf Tour ging, spielte sie ihr elektronisches Album vollständig live. Die Instrumente, die ihre Entourage auf der Bühne bediente, schienen eher dem elektronischen Original nachempfunden zu sein als umgekehrt. Die US-Künstlerin Nite Jewel stand am Montagabend in Berlin vor eben einer solchen Herausforderung, ihre elektronische Musik auf der Bühne zum Konzert umzugestalten.

Der Sound der Kalifornierin, wie auf ihrem kürzlich erschienenen neuen Album „Liquid Cool“, ist funky und freigeistig. Sie macht darin Anspielungen auf die Achtziger – mit warmen Synthesizer Melodien und alten Aufnahmetechniken, aber auch mit Referenzen an den elektronischen Funk. Ramona Gonzalez, wie Nite Jewel bürgerlich heißt, kombiniert diese mit einer weichen, hohen Stimme, die sie gerne in textlose Gesangsmelodien dehnt. Und: Obwohl man ihren Alben anhört, dass Nite Jewel hier und da auch eine Bassgitarre benutzt, ließe sich auch ihr Studiosound einfach per Knopfdruck auf die Bühne bringen. So wie ihr durchaus sehenswerter Voract Sean Nicholas Savage, der sich allein mit dem Mikrofon zu einem exaltierten Ein-Mann-Teenpopsänger stilisiert, während der Kitsch-Pop aus der Dose scheppert.

Die Songs ihres neuen Albums „Liquid Cool“ spielt Nite Jewel in umgestalteten Arrangements

Aber Nite Jewel ist nicht die Bühnenperformerin, sondern eine richtig versierte Musikerin. Sound liegt bei ihr vor der Show. Nur wenig bewegt sie sich während des Auftritts, schwingt ihren Körper zaghaft hinter dem Keyboard, wirft ab und an den Kopf in den Nacken wenn Textzeilen wie „Am I Real“ sie dazu bringen. Nite Jewel ist zurückhaltend und ziemlich cool. Sie steckt während Songs die Hände mit den hautfarben lackierten Nägeln in die Hosentaschen und gibt der Musik den Vorrang. Denn die Songs von „Liquid Cool“ spielt sie in eigens für die Bühne gemachten Arrangements. Daher hat sie sich zwei Bühnenpartner mit auf die Tour genommen. René, den Drummer, und David, einen Keyboarder. Obwohl manchmal die dichten Synthesizerblöcke wie aus dem Nichts aus den Boxen branden, biegen die drei gemeinsam den Auftritt doch zu einem richtigen Liveact. Da werden plötzlich Tonarten verschoben, Sounds der Originalversion abgewandelt und nonchalant wird ein jazziges Solo über den Track gespielt. Das hat was. Ihr zurückgenommenes Konzert wirkt umso eigenwilliger, weil Nite Jewel im Berliner Urban Spree auf dem RAW-Gelände auftritt. Obwohl nur wenige Meter entfernt gerade der gläserne Zalando-Headquarter und glitzernde Lofttürme nah an das Industrieareal rücken, ist auf der kleinen Bühne Abseitiges zu sehen. Und dies geschieht mit all der neunzigerjahremäßigen Improvisation, die eine Nischenkunst an gefährdeten Veranstaltungsorten in Ostberlin mit sich bringt: Verrauchter Konzertsaal ohne Lüftung, keine Garderobe, billiges Flaschenbier und ein Soundsystem, das einen im Laufe des Konzerts subtil dazu bringt, den richtigen Winkel im Zuschauerraum auszumachen, um Bassdröhnen oder Höhenkratzen zu entgehen.

An so einem Ort gab Nite Jewel am Montagabend eines ihrer drei Konzerte in Deutschland. Der abgeschabte Orientteppich auf der Bühne dämpfte ihren Sound, und der angebissene Apfel, der womöglich beim Soundcheck im Vorfeld auf dem Verstärker abgelegt wurde, oxidierte im Laufe des knapp einstündigen Auftritts zu einem tiefen Braun. Doch das gesamte Setting verknüpft sich wunderbar mit jenem arty Avantgarde-Milieu, aus dem Ramona Gonzalez selbst kommt. In Los Angeles beheimatet, gehört sie zu der Szene um Ariel Pink, Julia Holter und dem Musikverleger Jason Grier. Überraschend kam daher auch „Too Good to Be True“, ein neuer Song von Nite Jewel, mit fettem Deep-House-Einschlag daher. Ein Hit, während ihrer Tour komponiert; er muss ganz dringend veröffentlicht werden.