Klassiker: Torch
: Immer noch fremd im eigenen Land

Das Publikum ist in Feierlaune.Für Fremdenhass gibt es hier absolut keinen Platz

Torch, Mitbegründer der legendären ersten migrantisch-deutschen Rap-Crew Advanced Chemistry, rappte am Donnerstagabend im Berliner Club SO36. Im Publikum sind viele Fans der ersten Stunde, die schon in den Neunzigern als Teenager die Musik des Trios aus Heidelberg mochten, aber auch junge Kids. Sie jubeln frenetisch, als Torch den Hit aus seinem Soloprojekt „Die Welt brennt“ gleich zu Anfang spielt, sämtliche Arme wippen im Takt mit. Auch bei den Songs aus Torchs Solodebütalbum „Blauer Samt“ (2001) sitzen die Aussagen. Viele Reime sind gefüllt mit historischen Bezügen wie in dem Song „Adriano (Letzte Warnung)“ aus dem Jahr 2001, den Torch einst zusammen mit dem Projekt Brothers Keepers aufgenommen hatte: eine Verbeugung vor dem Mosambikaner Alberto Adriano, der ein Jahr zuvor von Nazis ermordet worden war.

Obwohl Torch in seinen Texten viele ernste Themen anspricht, bleibt die Stimmung ausgelassen. Als nach 40 Minuten sein Advance-Chemistry-Kollege Toni L auf die Bühne kommt, ist die Begeisterung riesengroß. Der Sohn eines italienischen Gastarbeiters und Torch, der auch die haitianische Staatsbürgerschaft besitzt, heizen der Menge ordentlich ein. Toni L präsentiert zunächst Eigenkompositionen, die er den Größen des R&B widmet: James Brown und Michael Jackson. Bei „Funkjoker“ und „Der Zug rollt“ tanzen alle im Saal. Großartig auch die Tanzeinlage auf der Bühne: Wie einst The Jackson Five halten Torch und Toni L ihre Bewegungen synchron.

Am Ende des Sets kommen sie dann, die Songs, auf die alle gewartet haben. Die Songs, für die man Advanced Chemistry mag. Dass sich Stars wie die Beginner zu Recht vor ihrer Pionierleistung verbeugen und sogar ihr neues Album „Advanced Chemistry“ betiteln, unterstreicht die Bedeutung der Crew. Torch und Toni L hatten 1992 (damals noch zusammen mit Kifo Ykbo alias Linguist) mit der Single „Fremd im eigenen Land“ ihren Durchbruch. Der Song polarisierte, weil die Rapper als Migrantenkids ihre persönlichen Erfahrungen bezüglich Fremdenhass und Rassismus unmissverständlich zum Ausdruck brachten.

Die politische Bedeutung von „Fremd im eigenen Land“ ist auch 24 Jahre nach Veröffentlichung evident. Wenn Torch damals feststellte, dass Fremdenhass nach der Wiedervereinigung zugenommen hat, stehen wir nun erneut vor einem gespaltenen Land. Die Beschreibung der migrantischen Alltagsrealität klingt absolut glaubwürdig. Trotzdem ist das Publikum im SO36 in Feierlaune. Für Fremdenhass gibt es absolut keinen Platz. Am Donnerstagabend werden nämlich die Unterschiede und das vermeintlich Fremde gefeiert – mit dem Bewusstsein, dass alles andere keinen Sinn ergibt. Lorina Speder