Heimat im Frachtpaket

BAUHAUS Das Buch „Heimatcontainer“ erzählt eine Episode der Baugeschichte. Es geht um Moderne, Politik, Nazis, Juden und die Frage, was Heimat ist

Das Prinzip: Ein Kupferhaus ist ein Fertighaus aus Kupferblechplatten. Zwischen 1929 und 1934 wurde es im brandenburgischen Eberswalde produziert. Die Einzelteile wurden mit einem Schraub-Steck-Patent zusammengefügt. Das Haus hat ausgezeichnete Wärmedämmung und Luftzirkulation, ist aber hellhörig.

Das Geschäft: Die Hirsch Kupfer- und Messingwerke stellten bis 1931 neun Fertighaustypen her. Diese hatten eine Wohnfläche von 50 bis 100 Quadratmetern und kosteten 5.000 bis 20.000 Reichsmark. Insgesamt wurden etwa 50 Häuser gebaut.

Die Geschichte: Nach 1933 kauften bis zu zwanzig jüdische Familien Kupferhäuser für die Flucht nach Palästina. Das Modell Haifa wog 15.300 Kilo und wurde in 34 Paketen geliefert.

Das Buch: Friedrich von Borries, Jens-Uwe Fischer: „Heimatcontainer. Deutsche Fertighäuser in Israel“. Suhrkamp Verlag, 200 Seiten, 12 Euro

VON ANJA MAIER

Wenn es doch so einfach wäre. Wohin der Mensch auch ginge, er könnte sein Haus, das, was er für sich Heimat nennt, zusammenpacken. Und er könnte es an jenem Ort, den er zu seiner neuen Heimat machen möchte, einfach wieder aufstellen. Tatsächlich gab es in der deutschen Architekturgeschichte eine kurze Zeit, in der dieser Traum vom modernen Nomadentum gelebt wurde. Diese Geschichte, die der deutschen Kupfer-Fertighäuser, erzählt das Buch „Heimatcontainer“, das gerade bei Suhrkamp erschienen ist.

Den Titel haben der Architekt Friedrich von Borries und der Historiker Jens-Uwe Fischer gewählt, weil die Fertighäuser aus Kupfer, um die es geht, „Erinnerungen zwischen ‚deutscher Heimat‘ und deutscher ‚Endlösung‘ “ in sich tragen, „als ‚Umzugsgut‘ der aus Deutschland fliehenden Juden sind die Kupferhäuser in Kisten verpackte Heimat, Heimattransfer“.

Eigentlich erzählen die Autoren hier zwei Geschichten. „Ja“, bestätigt der Designtheoretiker von Borries, „der eine Teil ist ein Stück deutsche Architekturgeschichte, der andere Sozialgeschichte. Denn letztlich ist die Geschichte der Kupferhäuser nicht nur ein Trauerspiel der Moderne, sondern auch eine absurde Geschichte des Scheiterns.“

Nach Scheitern sah es erst einmal ganz und gar nicht aus, als Anfang der Dreißigerjahre der Bauhaus-Gründer Walter Gropius Kontakt zu den Hirsch Kupfer- und Messingwerken (HKM) im brandenburgischen Eberswalde aufnahm. Nach Jahren des administrativen Klein-Klein in Weimar und Dessau wollte Gropius endlich wieder tun, was ihm am Herzen lag: Häuser bauen. Er wusste, dass die HKM, eines der größten Metallverarbeitungsunternehmen in Deutschland, mit Fertighäusern aus Kupferblech experimentierten. Für Gropius, der sich mit Fragen des Massenwohnbaus als Lösung städtebaulicher und sozialer Probleme befasste, eine großartige Möglichkeit. Die von ihm für die HKM projektierten Häuser entstanden in Plattenbauweise und waren entsprechend den Bedürfnissen ihrer Bewohner erweiterbar. Die Fassade bestand aus mit Kupferplatten belegten Wänden, die an einem einzigen Tag ineinandergesteckt werden konnten. Kupferhäuser baute man nicht, man errichtete sie.

Die Verbindung zwischen Architekt und Unternehmen, zwischen Genius und Geld, zeitigte aufsehenerregende Lösungen. Der Kupferhaus-Katalog von 1931 bot neun Typenhäuser an, entsprechend dem Zeitgeist trugen sie Namen wie Frühlingstraum, Lebenssonne oder Eigenscholle. Die Palette reichte von der Gartenlaube bis zum Sechszimmerhaus für Betuchte. Gropius steuerte zwei weitere Modelle bei, Sorgenfrei und Kupferstolz, die er auf der Berliner Architekturausstellung „Sonne, Luft und Haus für alle!“ präsentierte.

Statt Tapeten waren die Innenwände mit Reliefblechen verkleidet. Im Gesamtpaket enthalten waren eine Einbauküche sowie vorinstallierte Elektrik, Wasser- und Abwasserleitungen sowie eine Zentralheizung. Die Häuser waren gut gegen Wärme und Kälte isoliert, aber sehr hellhörig. Und man musste revolutionäres Bauen wirklich über die Maßen schätzen – denn binnen kurzer Zeit setzte die Fassade eine grünbraune Patina an.

Visionär oder durchgeknallt, modern oder spießig – letztlich verkauften die HKM nur etwa fünfzig Kupferhäuser, die Zusammenarbeit mit Gropius wurde beendet. Das lag nicht nur daran, dass beide Seiten verschiedene Auffassungen von Modernität hatten. In der Weltwirtschaftskrise hatten sich die Hirschs geschäftlich verhoben und gingen mit den HKM pleite. Ende 1932 gründete René Schwartz, der Schwiegersohn des ehemaligen Chefs, die Deutsche Kupferhausbau mbH (DKH). Er glaubte fest an die Idee von der transportablen Heimat, und er wusste auch schon einen Absatzmarkt für seine Häuser: Eretz Israel, Palästina.

Die jüdische Familie Hirsch unterstützt seit vielen Jahren die zionistische Idee, den jahrtausendealten Traum vom Zusammenleben der Juden im Gelobten Land. Nun da die Nazis in Deutschland an die Macht gekommen sind, verlassen allein zwischen März und September 1933 6.000 jüdische Deutsche ihre Heimat, in den darauffolgenden fünf Jahren werden 200.000 Menschen fliehen.

Die DKH wirbt nun offensiv für ihre transportablen Häuser, im Gelobten Land herrscht Wohnungsnot. „Nehmen Sie ein Kupferhaus mit nach Palästina“, annonciert das Unternehmen, „Sie wohnen bei größter Hitze in kühlen Räumen!“ Auch an die Kundenbindung wird gedacht, die Fertighäuser heißen nun Jerusalem und Scharon, das größte Haus, Libanon, hat 260 Quadratmeter, es soll als Mietshaus Verwendung finden. Eine gute Idee – zumal Firmenchef Schwartz beim Reichswirtschaftsministerium erreicht hat, dass Kupferhäuser als Umzugsgut anerkannt und, anders als Ersparnisse, leicht ausgeführt werden dürfen. Dennoch verkauft die DKH weniger als zwanzig Einheiten.

Zu jenen Häusern, die heute noch stehen, sind von Borries und Fischer gereist. In Israel, in Haifa und in den Bergen von Galiläa, wurden ihnen, den Deutschen, die Türen aufgetan. Man erzählte den Männern aus Berlin die Geschichte der Häuser. Es sind Geschichten von Flucht und Abenteuer, von Demütigung und Verlust. Es ist Geschichte, verpackt in Geschichten.

Dass die heutigen Bewohner über das reden können, was den Grundmanns aus Essen, den Mansbachers aus Berlin, den Tuchlers aus Breslau ihre Heimat war, ist das Verdienst dieses 200-Seiten-Büchleins. Denn was ist Heimat? Dieses zigmal umgebaute, grünspanige Haus aus Eberswalde? Die Erinnerungen an den Kindheitsduft der Berliner U-Bahn? Die vielen Verwandten, die zurückgeblieben sind und ermordet wurden? „Heimat“, schreiben die Autoren, „ist kein eindeutiger Begriff.“