HIPHOP Rappende Selbstermächtigung: Princess Nokia und Gnučči
: Nicht nur für Ghetto-Frauen

Mit ihrer Single „Tomboy“ wurde Princess Nokia bekannt Foto: Johnny Nunez/wireimage/getty

VON Sarah Ulrich

Feminismus im HipHop? Princess Nokia und Gnučči zeigen wie das geht. Die beiden Künstlerinnen gehören neben Angel Haze und Tommy Genesis zur neuen Generation von Rapperinnen, die sich nehmen, was sie wollen. Als Selfmademusikerinnen liefern sie einen Sound, der rotzgörig und klug ist. Stilistisch können sie zwar beide zum Genre HipHop gezählt werden, aber ihre Beats brechen mit klassischen Klangmustern, ihre Melodien klingen experimenteller als die des Mainstreams. Mit feministischem Habitus und selbstbewussten Songs deuten sie das Genre um. Jede auf ihre eigene Art.

„No, you can’t touch my fucking hair!“

Die 24-jährige New Yorkerin Destiny Fraqueri alias Princess Nokia spielt mit Rollen. Mal gibt sie das nette Girl von nebenan und säuselt, wie süß und soft sie ist. Im nächsten Atemzug ist sie düster und wütend und sagt, sie will „eine noch größere Bitch und Feministin sein“. In ihrer international gefeierten Single „Tomboy“ rappt sie selbstbewusst davon, wie sie mit ihren „little titties“ und dem „fat belly“ alle um den Finger wickelt und sagt: „Das ist genau das, was ich bin. Ich bin fantastisch.“

Produziert werden ihre Songs vom musikalischen Partner Christopher Lare. Seinen Sound beschreibt das Duo als neofuturistisch, mit dem Einfluss verschiedenster Genres wie Jungle und Latin-House. Heraus kommt ein Bass, der „titties“ und „bellies“ jeglicher Couleur zum Wackeln bringt. Wenn sie den Hörern ihre Rap-Parts entgegenschleudert, versteht man sofort, was gemeint ist: „No, you can’t touch my fucking hair!“

Inspiration bezieht Nokia aus der eigenen Biografie. Sie bezeichnet sich als „Mulattin, Yoruba, Taíno“ mit Wurzeln in Nigeria und Puerto Rico. Nicht zuletzt deshalb ist eines ihrer erklärten Ziele, in ihrer Musik die Kultur ihrer Vorfahren zu bewahren. „Ich will klarmachen, dass sie kein Mythos sind.“ Das schafft sie etwa im Song „Brujas“, in dem sie von der Neigung ihrer Vorfahren zur Hexerei rappt: „Don’t you fuck with my energies.“ Bisweilen nennt sie sich selbst eine Hexe, was ihren Hang zur Spiritualität unterstreicht und der feministischen Umdeutung des historisch negativ besetzten Begriffs entspricht.

Princess Nokia ist stolz, politisch und derb. Die Rolle als starke Frau, die ihren Mund aufmacht, hat sie sich erkämpft. Sei es das Spielen mit Geschlechterrollen, die Darstellung als Bitch und Hexe. „Die Leute denken, ich sei verrückt. Aber ich mag es, das zu meinem Vorteil zu machen“, sagt sie. Seit 2010 ist Nokia aktiv, damals unter dem Pseudonym Wavy Spice. Bis zu ihrem Album „Metallic Butterfly“ (2014) hatte sie kaum Erfolg. Durch ihre Single „Versace Hottie“ wurden Musikmagazine aufmerksam, international bekannt wurde sie vor allem durch das 2016 veröffentlichte „Tomboy“. Princess Nokia ist kein Star der HipHop-Szene, das ist ihr egal. Denn sie macht das, was sie gut findet. Diese Selbstermächtigung wirkt ansteckend, ihr Stil direkt. Oder, in ihren Worten: „Feminismus für Ghettofrauen.“

Auch die schwedische Rapperin Gnučči, bürgerlich Ana Rab, wirkt absolut ungewöhnlich. Ihr Sound ist vielseitig. „Alle meine Texte kommen aus meinem Inneren und meine Gefühle sind nuanciert“, erklärt sie ihren stetigen Stilwechsel. Die Tracks sind ein Mix aus bombastischen Dancehall- und Break-Beats, elektronischen Hooks und cleveren Rap-Parts. Inspiriert wird Gnučči von menschlichem Verhalten. In ihrem Song „Work“ karikiert sie zu einem technoiden Beat die Spirale kapitalistischer Arbeitsprozesse. Kraftvoll und mitreißend performt Ana Rab dann auch auf der Bühne.

Was die Musikindustrie braucht

Gnučči hat ihr eigenes Label, managt sich selbst und produziert eigene Videos

Man sieht ihr an, dass sie Spaß an dem hat, was sie tut. „Ich bin das, was Publikum und Mu­sik­industrie brauchen“, sagt sie selbstsicher. Dabei wirkt sie vor allem taff. Gnučči musste sich in ihrem Leben durchbeißen, um als serbisches Einwandererkind in Schweden zu bestehen. Dieser Biss überträgt sich auf ihre Musik, die sie „eingängig und aggressiv“ haben will. So zum Beispiel im kraftvollen Ohrwurm „Goodah“ wenn sie singt: „Hey, egal was sie sagen, wir sind eh zu gut für sie.“ Der poppige Dancehall-Track wurde international als feministische Hymne gefeiert.

Vieles macht das „proud self-made Balkan babe“ im Alleingang: Sie hat ihr eigenes Label, managt sich selbst und produziert eigene Videos. Ihr neuester Track „Ultimate Syndrom“, ein Mix aus ruhigen Rap-Parts und knalligen Elektrobeats, ist eine Koproduktion mit der in Berlin lebenden Produzentin Tami T. Ana Rab mag es, ihren Stil durch die Kollaboration mit Künstlerinnen aus der ganzen Welt zu erweitern. Gnučči ist vielseitig, bunt, laut und poppig. Sie schafft es, ihr Publikum damit anzustecken.

Gemein ist den beiden Rapperinnen, dass sie sich als Außenseiterinnen beide ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen mussten. Sei es die Fluchterfahrung Gnuččis oder die Rassismuserfahrung Nokias. Beide bleiben unabhängig, keine ist bei einem Majorlabel unter Vertrag ist. Princess Nokia hat ihr neues Album „1992“ zum kostenlosen Download auf Soundcloud hochgeladen, Gnučči veröffentlicht fast nur auf ihrem Label Famalam Records.

Kennengelernt haben sich die beiden über das Internet. „Wir haben uns geschrieben, dass wir uns lieben“, erklärt Nokia. „World Wide Web Love Letters“, sagt Gnučči. Eine Liebesgeschichte, die sie gemeinsam auf die Bühnen Europas brachte. Die Kollaboration passt. Denn mit Princess Nokia und Gnučči machen zwei Künstlerinnen vor, wie Rap als feministische Selbst­ermächtigung wirkt. Auch wenn ihnen Erfolg egal ist, verdient hätten sie ihn allemal.

Princess Nokia: soundcloud.com/destiny-frasqueri;

Gnučči: soundcloud.com/gnucci