Im schmutzigen „Rössle“

Hemingway war in den 20er-Jahren zum Wandern und Angeln im Schwarzwald. Im „Toronto Star“ schrieb er über seine Erfahrungen. Eine Radtour auf den Spuren des Schriftstellers durch das Etztal

VON AMINA KRÖGER

Ernest Hemingway, 1922 frisch verheiratet, 23 Jahre jung und gänzlich unbekannt, lebte in Paris. Dort wurde es ihm im August zu heiß und stickig. Er beschloss, mit seiner Ehefrau Hadley und einem befreundeten Paar zwei Wochen nach Deutschland in den Schwarzwald, nach Triberg zu fahren. Eine so kurz nach dem Ersten Weltkrieg eher ungewöhnliche Idee. Die Spannungen zwischen Deutschen und Franzosen waren groß und Deutschland steckte mitten in einer Wirtschaftskrise. Durch die hohe Inflation in Deutschland war das Leben für sie als Amerikaner ausgesprochen preisgünstig. Das junge Paar konnte es sich deshalb leisten, in Triberg im ersten Haus am Platze abzusteigen, dem zentral gelegenen Parkhotel Wehrle. An seine Familie schreibt Hemingway aus Triberg:

„Hash und ich und Bill Bird von der Consolidated Press und seine Frau sind durch den Schwarzwald gewandert, und wir hatten eine wunderbare Zeit. Da die Mark immer weiter fällt, haben wir jetzt mehr Geld als vor zwei Wochen, als wir losgegangen sind, und wenn wir noch lange genug bleiben werden, könnten wir hier zweifellos umsonst wohnen. Wirtschaftswissenschaft ist doch eine großartige Sache …“

Hemingway arbeitete für den kanadischen Toronto Star. Auch die Zeit im Schwarzwald nutzte er zum Schreiben von Reportagen aus Europa.

„Wir haben hier einige Male nach Forellen gefischt … und ich habe fünf Stück mit der Fliege aus der Elz geholt … Für zweiundsechzig Mark bekommt man 6 Maßkrüge Bier. 10 Zeitungen. Fünf Pfund Speiseäpfel oder einen Platz im Theater“, schreibt er in einem Brief aus Triberg am 25. August 1922.

Heute kann man mit dem Fahrrad von Waldkirch aus durch das Elztal radeln. Hat man einmal die stark befahrene Bundesstraße durch Winden passiert und ist vorbei an der Nähseidenfabrik Gütermann und Elzach, geht es stetig leicht bergauf, immer weiter an der Elz entlang. Im Oberprechtal gibt es einige Einkehrmöglichkeiten. Mitten im kleinen Ort, gegenüber der Kirche, steht der Gasthof Sonne, ein stattliches Anwesen.

„Bill und ich machten uns auf den Weg nach Oberprechtal, wo wir uns um Angelscheine bemühen wollten. Wir saßen gerade vor dem ‚Gasthaus zur Sonne‘ im lebhaften Gespräch mit dem Gastwirt, das ausgezeichnet voranging, solange ich mich mit meinem Deutsch aus dem Spiele hielt“, schreibt Hemingway in einer seiner Reportagen im Toronto Star und macht sich über die endlosen Behördengänge lustig, die nötig seien, um einen Angelschein in Deutschland zu bekommen. Trotz aller ihrer Bemühungen waren die Angler nicht überall gern gesehen.

„Die Bauern im Oberprechtal, wo wir uns richtiggehende Angelscheine besorgt hatten … jagten uns mit Mistgabeln vom Bach weg, weil wir Ausländer waren.“ (Toronto Star Weekly, 17. 11. 1923)

Wir radeln auf der schmaler werdenden Straße in langen Schleifen durch saftige Weiden. Einige Kilometer bergauf, in idyllischer Lage, liegt der Landgasthof Rössle. Hinter dem Haus fließt die Elz. Am Ufer stolzieren einige Hühner gackernd umher, während auf den Steilhängen Ziegen weiden. In den am Hang gelegenen Gärten sind im Laufe der Jahrzehnte Steinmäuerchen aufgeschichtet worden. In diesem abgelegenen Tal war auch Hemingway.

„Das ‚Rössle‘ ist das Lieblingssymbol der Schwarzwaldwirte, aber es gibt auch eine Menge ‚Adler‘ und ‚Sonnen‘. Alle diese Gasthäuser sehen von außen ordentlich und sauber aus, aber innen sind sie schmutzig, eins wie das andere. Die Bettlaken sind kurz, die Federbetten klumpig, die Matratzen hellrot, das Bier gut, der Wein schlecht … Es gab hier eine ordentliche Mahlzeit aus gebratenem Fleisch, Kartoffeln, grünem Salat und Apfelkuchen, vom Wirt selber aufgetragen, der unerschütterlich wie ein Ochse aussah … Seine Frau hatte ein Kamelgesicht, genau die unverwechselbare Kopfbewegung und den Ausdruck äußerster Stupidität, die man nur bei Trampeltieren und süddeutschen Bauersfrauen beobachten kann.“

Die Straße schlängelt sich an der rauschenden Elz entlang immer weiter bergauf durch das tief eingeschnittene Tal. Nun wird die Besiedlung dünner, vereinzelt gibt es Gehöfte. Neben dem Weg ragen Felsen und Tannen auf. Es geht steil bergauf. Eine schweißtreibende Angelegenheit für Radler. Nach dem Erklimmen des Rohrhardsbergs geht es nach einer Kurve weiter bergauf bis zur Wilhelmshöhe. Hier ist der höchste Punkt erreicht, von nun an geht es bergab durch Schonach nach Triberg. In diesen menschenleeren, rund um Triberg gelegenen Wäldern hatte Hemingway viel Spaß beim Wandern und Forellenfischen, wie er im Toronto Star schreibt:

„Eines Tages – wir kamen von Triberg und hatten uns einen steilen Berghang hinaufgeschunden, bis wir den Kamm erreichten, sahen wir den Schwarzwald unter uns in alle Richtungen dahinwogen … Wir kamen am oberen Ende des Tales heraus. Ein schöner Forellenbach floss durch das Tal, kein Bauernhof in Sicht. Ich steckte die Angelrute zusammen, und während meine Frau unter einem Baum am Abhang saß und Wache hielt in beiden Richtungen des Tales, fing ich vier ordentliche Forellen, jede ungefähr dreiviertel Pfund …“

Triberg ist von allen Seiten von hohen Bergen umgeben und aufgrund der besonderen geografischen Lage führt mitten durch den Ort die viel befahrene B 500. Direkt an der B 500 liegen Deutschlands höchste Wasserfälle. Das Wasser der Gutach stürzt über 160 Meter ins Tal herab. Auffallend viele junge Amerikaner spazieren heute im Ort herum, studieren Schilder wie „home made special Black forest cakes“, betrachten die Schaufenster mit Kuckucksuhren, Holzschnitzereien und Trachtenmode. Die Katholische Frauengemeinde offeriert einen Vortrag „Zwischen Resignation und Aufbruch“ und es gibt eine Kurkonzerthalle und die Kronenlichtspiele. In der ambitionierten Küche des Hotel Wehrle neben dem Rathaus wird neben Forelle blau „Laubfrösche von der Schwarzwaldforelle in Rote-Bete-Schaum mit Schmorgurkengemüse“ angeboten. Im Café Adler gegenüber war „Dagmar Holzer Konditor des Jahres 1997“. Die Torten schmecken vorzüglich.

Ernest Hemingway kehrte nie wieder in den Schwarzwald zurück, weder mit Hadley noch mit einer seiner drei späteren Ehefrauen. Jahrzehnte danach verarbeitete er literarisch Erinnerungen an diese Reise in der Erzählung „Schnee auf dem Kilimandscharo“:

„Nach dem Krieg pachteten wir einen Forellenbach im Schwarzwald, und es gab zwei Wege, die dorthin führten. Einer ging durch das Triberger Tal hinab und schlängelte sich an der Talstraße entlang im Schatten der Bäume, die die weiße Straße einsäumten, und dann eine Seitenstraße hinan, die durch die Hügel hinaufführte, an einer Menge kleiner Anwesen mit großen Schwarzwaldhäusern vorbei, bis jene Straße den Bach überquerte. Hier begann unser Fischwasser … Der Hotelbesitzer in Triberg hatte eine ausgezeichnete Saison. Er war besonders nett, und wir waren alle sehr befreundet. Im nächsten Jahr kam die Inflation, und das Geld, das er im Jahr zuvor verdient hatte, reichte nicht aus, um Lebensmittel für den Beginn der neuen Saison zu kaufen, und er erhängte sich.“