Unaufgeräumte Seelen

Psychodramatisches Kammerspiel in undekorierter Wohnung: Markus Lenz inszeniert in seinem Film „Close“ die komplizierte Begegnung zweier unfertiger Menschen

Das englische Wort „close“ kann man sowohl mit „nah“ übersetzen als auch mit „abschließen“. Aufs Zwischenmenschliche angewendet, meint es zweierlei: Sich von seiner Mitwelt abschotten – oder einander nahe kommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass das eine mit dem anderen eigentlich unvereinbar ist oder nur als Übergang zwischen zwei Zuständen, zwischen Sichzurückziehen und Sichöffnen, denkbar wird. Als mitunter anstrengende Entwicklung. „Close“ von Markus Lenz versucht die Beschreibung solch eines Lernprozesses. Wie einer, der lieber nachts lustlos Handtaschen klaut, durch Zufall oder Fügung zu einer findet, die sich als letzte Bewohnerin im Haus vor den Räumkommandos verschanzt hat, um sich ausschließlich von Teebeuteln und Tütensuppen zu ernähren. Einsamer trifft auf Einsame, und es beginnt ein psychodramatisches Kammerspiel in undekorierter Wohnung.

Ein Herumtreiber (Christoph Bach) sieht durchs Fenster Anna (Jule Böwe). Sie trägt ein Nachthemd, einen Baseballschläger und lässt ihm den Rollladen auf die Stirn knallen. Er darf trotzdem rein. Zwischen den beiden entsteht eine Art emotionaler Schützengrabenkrieg, man macht die Schotten dicht, wirft mit Nebelbomben und Nervengas und gelangt dadurch weder vor noch zurück. Sie hat ein Problem mit dem Nach-draußen-Gehen, verleugnet sich am Telefon, wimmelt unter fadenscheinigen Vorwänden ihre einzige Freundin ab und bringt es nicht einmal über sich, den Müll runterzutragen. Er ist notorisch unstet, hat es ebenfalls mit den meisten Leuten verscherzt und stiehlt Handys von betrunkenen Frauen, die ihn dann auf ein Bier einladen müssen.

Dass die Figur von Christoph Bach Jost heißt, erfährt man erst aus dem Abspann, im Film heißt er wahlweise „Anton“, „Markus“, „Tom“ oder „Rate mal“. Er: die ewige Bewegung, always on the run; sie: der totale Stillstand. Lauter vom Mutterschiff gekappte Weltraumgänger, die ihr Leben nicht in den Griff bekommen wollen, weil man es sich so gemütlich eingerichtet hat auf der dunklen Seite des Mondes. Der andere Film, in dem Jule Böwe und Christoph Bach einander wie fremde Planeten umkreisen und der ebenfalls vorwiegend nachts spielt und von einem kaputten Personal bevölkert ist, das einander Wunden schlägt und leckt, war „Katze im Sack“. Dieser hier könnte also „Kopf in den Sand“ heißen.

Markus Lenz inszeniert die Nichtbegegnung zweier unfertiger Menschen, die sich in ihren Emotionen wie in verwitterten Trutzburgen eingesperrt haben, als geschlossenes Zeichensystem und streng nach Regiehandbuch. Da darf kein Element ablenken von der Grundidee, in der nicht nur die Figuren, sondern der gesamte Film wie in einem Korsett gefangen steckt. Alles funktioniert als verdoppelnde Unterstreichung. Die kahlen Räume in Annas Wohnung: die innere Leere der Charaktere. Die Außenwelt: eine einzige große Abweisung, die zur Gänze aus Security-Personal, Sicherheitsarchitekturen und neonbeleuchteten Straßen besteht. Da versteht man Annas Abneigung, sich draußen mal ein bisschen umzusehen. Anstatt aber Zwangsräumung, Hausverwaltung und Security-Wahn als die terroristischen sozialen Wirklichkeiten zu nehmen, die sie sind, werden sie ganz in den Dienst der Widerspiegelung von unaufgeräumtem Seeleninneren gestellt.

In diesem perfekt um ein Prinzip herum konstruierten Kosmos gesteht der Regisseur seinen Figuren dabei bestenfalls das Gefühlsleben von Bremsscheiben zu: Immerzu muss es glühen, aber irgendwie geht dabei nichts vorwärts. Schade, denn sowohl Christoph Bach, der seit seinem fulminanten Debüt in „Narren“ auf die Rolle des wortkargen Sonderlings abonniert zu sein scheint, als auch die großartig zornige und verletzliche Jule Böwe hätte man gerne mit mehr Raum agieren sehen.

DIETMAR KAMMERER

„Close“. Regie: Marcus LenzMit Christoph Bach, Jule Böwe u. a., Deutschland 2004, 89 Min.