Die Botschaft aus dem Mülleimer

PUNKROCK Auch in Birma gibt es Punks. Immerhin ein paar hundert setzen dort auf den perfekten Stachellook. In der Filmdoku „Yangon Calling“ sind sie im Festsaal Kreuzberg zu sehen und bei einem Konzert auch zu hören

■ Die Doku „Yangon Calling“ von Alexander Dluzak und Carsten Piefke über Punk in Birma ist am Samstag um 20 Uhr im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130, zu sehen. Eintritt 3 Euro. Wer einfach sitzen bleibt, kann dort dann ab 22 Uhr ohne weiteren Eintritt mit Side Effect auch eine Band aus dem Film live hören, zusammen mit dem Mandolinenorchester Kapaikos und den Berliner Rockern Priscilla Sucks! Wer nur zum Konzert kommen will, zahlt 10 Euro.

■ Im kommenden Jahr soll „Yangon Calling“ auch als DVD veröffentlicht werden, zusammen mit einem Buch über Punk, HipHop und weitere Jugend- und Subkulturen in Birma. Um das auf den Weg zu bringen, gibt es eine Crowdfunding-Kampagne: www.startnext.de/yangoncalling

VON THOMAS MAUCH

Es ist ja immer eine Frage des Blickwinkels. Selbst in Berlin würde eine Zusammenrottung von ein paar Dutzend Männer, die den Longhi, also das tragen, was der Mann in Birma statt der Hose traditionell an den Beinen hat, für verdutzte Aufmerksamkeit sorgen. Weil man hier diesen Wickelrock für Männer nicht so kennt. In Birma dagegen ist man mit Punk nicht ganz so vertraut. Man kann auch sagen, dass Punk in dem südostasiatischen Land noch eine echte Sensation ist. „Die stehen da und klappen die Kinnlade runter“, beschreibt Alexander Dluzak die Reaktion der Birmanen, wenn die Punks mit ihren perfekt gestylten Iros und den Nietenjacken durch Birmas Metropole Yangon spazieren. „Die Provokation funktioniert definitiv.“

Zusammen mit Carsten Piefke ist der Berliner TV-Journalist und Filmemacher Dluzak Anfang 2011, noch zu Zeiten der Militärjunta, nach Birma gereist, um eine Dokumentation über die Punkszene dort zu drehen. Mittlerweile war der Film „Yangon Calling“ im deutschen Fernsehen zu sehen und auf verschiedenen Filmfestivals. Kürzlich gab es beim Notfall-Festival in den Niederlanden den Publikumspreis für die Punk-Doku. Am Samstag wird sie im Festsaal Kreuzberg gezeigt.

Geburtshelfer Sex Pistols

In dem Film wird auch erklärt, wie der Punk überhaupt nach Birma fand. Am Anfang war ein Bild. Ein Foto von den Sex Pistols, das ein Birmane Mitte der Neunzigerjahre mitsamt einer Musikzeitschrift aus dem Mülleimer der britischen Botschaft in Yangon barg. Was aus dem Mann, Koh Nyan, den ersten Punk in Birma machte. Später erst kam die Musik dazu, mit Hilfe von Seeleuten, die von ihren Reisen Punkrock-Kassetten mit ins sonst abgeschottete Birma brachten.

Koh Nyan betreibt immer noch den einzigen Punkladen in Birma. Und weiterhin ist die Szene überschaubar. Ungefähr 200 Punks gibt es in Yangon und etwa weitere 100 in Mandalay, der zweitwichtigsten Stadt des Landes.

Wobei der Rock ganz allgemein nicht unbedingt den sichersten Stand hat in Birma. Zwar darf man die Beatles oder Rolling Stones durchaus als musikalisches Grundwissen dort voraussetzen, und die Tradition im selbstgemachten birmanischen Rock reicht zurück bis in die Siebzigerjahre. Trotzdem: „Selbst berühmte Bands können nicht einfach so auf eine Tour durchs Land gehen“, sagt Darko C, der Sänger und Gitarrist von Side Effect, die auch eine prominente Rolle in „Yangon Calling“ spielen. Sie sind im Outfit nicht so spektakulär, dafür musikalisch versierter. Und statt nach Sex Pistols mehr nach Nirvana klingend, wie am Samstag nach dem Film im Festsaal auch live zu hören sein wird. Unterstützt vom Goethe-Institut, befindet sich die Band gerade für eine kleine Tour in Deutschland.

Es fehlt an den Orten in Birma, wo man spielen könnte. Es fehlt an den Promotern, die sich für den Rock einsetzen. Es fehlt an der Infrastruktur. Auch in Yangon kann man meist an einem Finger abzählen, wie viel richtige Rockkonzerte dort in einem Monat stattfinden, manchmal sind es nur zwei. Was kontinuierlich eigentlich nur im DIY-Prinzip funktioniert. „Wir müssen das schon selber machen“, sagt Darko C. Die Konzerte also selbst organisieren, zu denen dann etwa 200 bis 300 Besucher kommen. Gut die Hälfte des Publikums besteht aus Touristen und Expats.

Wegen des Internets ist der Indierock aus Birma mittlerweile standfester draußen in der Welt als im Land selbst. Auch Side Effect bescherte die internationale Aufmerksamkeit bereits einen Auftritt außerhalb Birmas, bei der Asean-Messe 2011 in Bali. In Berlin packt die – wie überhaupt in Birmas Rock üblich – gut muttersprachlich singende Band beim Konzert dann ihre frisch erschienene Debüt-CD aus.