Wahrscheinlich die Weltformel

Film Hollywood und die Kunst der Täuschung: In „Where is Rocky II?“ ist der Regisseur Pierre Bismuth einem in der Wüste verschollenen Kunstwerk auf der Spur

Das Expertenteam ist unterwegs. Vielleicht trifft man gleich Bruce Willis? Foto: REM

von Carolin Weidner

Drei VHS-Kassetten, und auf einer verbirgt sich ein Rätsel. Ein Freund hat Pierre Bismuth, Maler, Kameramann und Drehbuchautor, die Kassetten verschafft. Auf zwei Bändern sieht man Marcel-Duchamp-Interviews, aufgenommen in Philadelphia. Okay. Auf der dritten Kassette dann aber: die kalifornische Mojave-Wüste samt Ed Ruscha (ausgesprochen Ru-Shay) und einem Felsbrocken. Ein Jeep befördert das Ding über unebene Straßen. Staub. Sand. Erdtöne. Viel Himmel. Irgendwo wird der Brocken abgeladen und sich selbst überlassen. Das war’s.

Das Material stammt aus den späten Siebzigern und zeigt den Künstler gemeinsam mit einem Freund und Kollegen, Jim Ganzer. Ganzer wird in dieser von der BBC produzierten Dokumentation – denn um eine solche handelt es sich – als „Felsexperte“ eingeführt. Den umliegenden Exemplaren zum Verwechseln ähnlich, handelt es sich bei Ruschas Felsen allerdings um ein Imitat aus Fiberglas: „Rocky II“. „Rocky I“ aus anderem Material wurde bereits von tierischen Wüstenbewohnern angeknabbert, womöglich auch verzehrt.

„Rocky II“ also. Ein Kunstwerk, von dem offenbar noch nie jemand etwas gehört hat, obwohl es von dem enorm erfolgreichen US-amerikanischen Künstler Ed Ruscha stammt. Es steht unbesehen in der duftlosen Wüste, taucht in keinem Werkverzeichnis auf, existiert praktisch nicht. Ein starkes Stück bei einem wie Ruscha, über den es eine Menge zu lesen gibt, mit dem sich eine Menge Menschen beschäftigt. Und eine super Sache für Pierre Bismuth, ebenfalls Künstler, ansässig in Brüssel, der außerdem Drehbuchautor ist.

Sogar einen Oscar hat Bismuth im Regal stehen: Für Michel Gondrys und Charlie Kaufmans „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“, dem romantisch-wirren Indiehit von 2004 mit Jim Carrey und Kate Winslet in den Hauptrollen. Hier wussten alle zu viel und wollten wieder vergessen. Demgegenüber sind in „Rocky II“ alle ahnungslos, wüssten aber gerne mehr. Pillen zur Unterstützung wie in „Eternal Sunshine“ stehen vorerst aber nicht zur Verfügung. Dafür macht sich ein L.A.-Privatdetektiv namens Michael Scott, den ­Pierre Bismuth angeheuert hat, daran, „Rocky II“ aufzuspüren: auf dass sich das Fiberglasobjekt nach vierzig langen Jahren endlich aus dem stimmigen Naturzusammenhang löse.

Das klingt alles ziemlich ausgedacht. Zum Beweis, dass man es dennoch mit Tatsachen zu tun hat, lässt Bismuth an Realmaterial teilhaben. Da gibt es zum Beispiel den Mitschnitt einer Pressekonferenz von 2009. Anlässlich einer großen Solo-Ausstellung Ruschas in der Londoner Hayward Gallery fragt er da ganz unverhohlen: „Where is Rocky II?“ Die Reaktion des ansonsten sehr coolen Künstlers: Nervosität, fahriges Fummeln am Hemd. Bismuth hat seine Hausaufgaben offenbar gemacht.

Aber kann er auch „Rocky II“ finden? „Where is Rocky II?“ ist eine Spurensuche, die sich sukzessive in einen Spielfilm verwandelt. Beziehungsweise: die mit dem Gedanken spielt, sich in einen Spielfilm zu verwandeln. Schließlich befindet man sich in Hollywood. Und Künstler-Regisseur Bismuth lässt keine Zeit verstreichen, das klarzustellen. Gleich zu Beginn des Films erscheint folgendes Ruscha-Zitat auf der Bildfläche: „Hollywood is not just a place, Hollywood is a verb. You can Hollywood something. You can Hollywood anything. (Ed Ruscha, 1979)“

Unbesehen steht „Rocky II“ in der Wüste, taucht in keinem Werkverzeichnis auf, existiert praktisch nicht

Und Bismuth, der hollywoodet eben die Suche nach „Rocky II“. Dafür beauftragt er neben Detektiv Scott (ein schönes Klischee mit Pilotenbrille und Vorliebe für American Diners) auch zwei Drehbuchautoren. Sie sollen sich mit dem Kern des Felsbrockens beschäftigen beziehungsweise mit der Motivation, die Ruscha einst veranlasste, ein solches Werk überhaupt zu schaffen. „What’s in the rock?“, möchte Anthony Peckham wissen. Es wird über mögliche Trailer herumgesponnen, ein paar Tabletten werden genascht. Dazu ertönt pathetische Filmmusik aus der Feder Hugo Lippens. Sie vermittelt einem das Gefühl, wahrscheinlich der Weltformel auf die Schliche gekommen zu sein, die allerdings ebenfalls von feindlich gesinnten Kohlköpfen gesucht wird. Sicherlich trifft man gleich Bruce Willis in der Wüste. Oder so.

Dann sind es aber doch nur der slicke Michael Govan (Direktor des LACMA) und Jim Ganzer, die entweder nichts wissen oder sich, wie im Falle Ganzers, viel lieber mit Michael Scott über die Großartigkeit des Angelns austauschen würden. Und natürlich ist da auch Pierre Bismuth, der als mannigfaltiger Auftraggeber in Erscheinung tritt, Erfolge abfragt, meckert, teure Hotels bezahlt.

Leider geben die einzelnen Episoden letztlich nicht viel her. Weder Scotts/Ganzers Buddytrip in die Mojave-Wüste noch die endlosen Drehbuchautoren-Sessions, die genauso schrecklich sind, wie man sie sich schon immer nicht vorstellen wollte, reißen einen nicht vom Hocker. Vielleicht wäre die Hinzunahme der Duchamp-Kassetten keine schlechte Idee gewesen. Immerhin befand der: „Die Kunst ist eine Täuschung.“

„Where is Rocky II?“. Regie: ­Pierre Bismuth. Mit Michael Scott, D. V. DeVincentis u. a. Frankreich u. a. 2016, 93 Min.