Festival „Loop“: Schallkanonen und Rauchpanzer

Das englische Künstlerkollektiv Audint nähert sich beim Loop Festival der historischen Verwendung von Klang und Musik für militärische Zwecke.

„Delusions of the Living Dead“ inszeniert die militärische Nutzung von Klang und Musik Foto: Audint

Der dialektische Blick lehrt: In allem Guten steckt immer auch etwas Böses. Das gilt auch für die Musik. Vor allem, wenn sie nicht als Genussmittel, sondern als Waffe verwendet wird. Als solche eignet sie sich ziemlich gut, wie etwa die per Dauerschleife abgespielte Popmusik, mit dem das US-Militär Insassen des Gefangenenlagers im kubanischen Guantánamo gefoltert hat.

Weniger martialisch, dafür aber mit ähnlichen Intentionen verbunden ist der Ultraschallsender „The Mosquito“, der vor britischen Einkaufszentren zum Einsatz kommt. Dabei werden ultrahohe Töne ausgestrahlt, um Jugendliche vor dem Herumlungern abzuhalten. Dass mit dem Alter die Wahrnehmungsfähigkeit hoher Frequenzen nachlässt, macht den Sender zum perfekten Instrument. Töne ab einer Höhe von 18 Kilohertz sind nur noch für Menschen unter 25 Jahren hörbar.

Den LRAD-Schallkanonen kann sich wiederum niemand entziehen. 2014 wurden sie bei den antirassistischen Demonstrationen in Ferguson verwendet, um Menschenmengen auseinanderzutreiben. Sie gehören zwar zu den „nicht tödlichen Waffen“, sind aber durchaus gefährlich.

Ihr Schalldruck erreicht bis zu 180 dB – das ist mindestens so laut wie ein Düsentriebwerk in wenigen Metern Entfernung. Und da der Schall direkt auf den Körper trifft, macht er ihn nicht nur bewegungsunfähig, sondern induziert auch Atemnot, Schwindel und Brechreiz.

Funkhaus Berlin, Nalepastraße 18, 4. bis 6. 11., Registrierung erforderlich, Infos: www.ableton.com

Mit dieser Art der akustischen Kriegsführung beschäftigt sich das englische Künstlerkollektiv Audint, das derzeit aus dem Philosophen, DJ und Gründer des Labels „Hyperdub“, Steve Goodman, dem Soundforscher Tobi Heys, Souzanna Zamfe und Patrick Defaste besteht. Ihr jüngstes Werk, „Martial Hauntology“, das ein 112-seitiges Buch mit Illustrationen und einer Doppel-LP umfasst, nähert sich auf verschroben-spannende Weise der militärischen Verwendung von Schall und Musik in den letzten 70 Jahren.

Es geht etwa um die „23rd Special Troops“, einen geheimen Sonderverband des US-Militärs im Zweiten Weltkrieg, auch „Ghost Army“ genannt, der darauf spezialisiert war, feindliche Truppen zu verwirren. Mit riesigen Lautsprechern wurde der Klang von Panzern und Artilleriefeuer abgespielt, um eine Geräuschkulisse von 30.000 Soldaten zu simulieren, während höchstens ein Zehntel wirklich anwesend waren.

Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, 4. 11., ab 20 Uhr, 20/16 €, Programm: www.volksbuehne-berlin.de

Auch im Vietnamkrieg setzten die US-Streitkräfte auf psychologische Kriegführung. Bei der „Operation Wandering Soul“ wurden nachts von Flussbooten und Hubschraubern aus Aufnahmen buddhistischer Bestattungsmusik, verzerrte Geräusche und Stimmen von vermeintlichen Toten ausgestrahlt, die den Vietcong demoralisieren sollten. Hintergrund war der buddhistische Glaube an die „irrenden Seelen“, nach dem die Toten in ihrer Heimat bestattet werden müssen, damit sie nicht für immer als Geister umherwandeln.

Auch die Installation „Delusions of The Living Dead“, die Audint im Rahmen des „Loop“-Festivals im Funkhaus Nalepastraße zeigt, dreht sich um Geister. Auf Bildschirmen sind handgezeichnete Animationen zu sehen, die mit einem mal subkutanen, mal magenerschütternden Soundtrack unterlegt sind, während eine Stimme eine Episode aus dem Leben von Hypolite Morton, Bill Arnett und Walter Slepian erzählt.

Audint beschäftigt sich mit einer Art der akustischen Kriegsführung

1949 reisten sie nach Paris, auf den Spuren des Neurologen Jules Cotard, der Ende des 20. Jahrhunderts das Cotard-Syndrom entdeckte. Eine Art Wahn, bei dem die Betroffenen glauben, tot zu sein oder ihre inneren Organe verloren zu haben – und den die Klangforscher mit einer speziellen Schallplatte selbst erzeugen wollten.

Die unheimliche, fast surreale Story basiert auf realen Fakten – und zieht ihre Feedbackschleife in die Gegenwart. Zumindest, wenn man den nötigen Zynismus aufbringt, einen roten Faden zwischen dem obskuren Vorhaben der Forscher und heutigen Clubs wie dem Berghain zu knüpfen, deren Besucher manchmal wirken wie eine Horde tanzender Zombies.

Dass die Installation bei allem empirischen Anspruch sehr mystisch anmutet und oft an das unheimliche Hintergrundrauschen in David-Lynch-Filmen erinnert, liegt wohl auch an der speziellen Ästhetik. Sie ist geschult an Sonic Fiction, einem vom britischen Autor Kodwo Eshun im Buch „Heller als die Sonne“ geprägten Begriff.

Mit diesem beschrieb er stetig wechselnden Körperzustände beim Hören von Drum&Bass oder dem außerweltlichen Jazz von Sun Ra, aber auch spekulatives historisches Sampling betreibt, indem er das Mississippidelta nach Düsseldorf verlegt.

Auch Audint bedient sich eines interdisziplinären Werkzeugkastens, der besonders im Zeitalter der Maximalzerstreuung angemessen erscheint, weil historische Fakten mit popkulturellen Verweisen, philosophischer Spekulation, Film und nicht zuletzt Sound verschaltet wird.

Es ist kein Zufall, dass die Installation Nebelmaschinen und ein Soundsystem umfasst. Clubmusik ist für die Sonic Fiction eine Art akustische Erkenntnistheorie – liegt doch zwischen den Subbässen im Dubstep, die den Brustkorb vibrieren lassen, und den Schallkanonen, also zwischen Genuss und Qual, oft nur ein schmaler Grat.

Während das Loop Festival Klang und Musik im Funkhaus auf abstrakter Ebene erforscht, wird es in der Volksbühne am Wochenende konkret: Ableton und das CTM Festival laden am Freitag zu einer vielfältigen elektronischen Konzertnacht, die das gesamte Haus bespielt und progressive Positionen zeitgenössischer elektronischer Musik zusammenbringt – mit Konzerten, Performances und DJ-Sets u. a. von Nonotak, Chino Amobi, Elysia Crampton, DJ Earl, Fatima al Qadiri, Why Be.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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