Liebeskummer und Supermond

AUFTRITTMan wird ja auch älter: Die britischen Band Tindersticks um den sonoren Sänger Stuart Staples gastiert am Montag im Konzerthaus Berlin

Und die omnipräsente Trauer passt auch wieder zum Sound

Der Supermond schien hell auf die Zuckerbäckerarchitektur am Gendarmenmarkt. Die Hostessen im Konzerthaus Berlin waren entspannt und sexy, alle Zuschauer fanden ihren Platz; und die zwei Herren, die das Vorprogramm bildeten, waren äußerst gut gekleidete Herren im besten Alter: Ein gediegener, geschmackvoller Abend stand an, die Tindersticks spielten das Abschlusskonzert ihrer aktuellen Tournee.

Die Tindersticks? Ja, die Tindersticks gibt es noch. Eingeweihte wissen das. Andere haben die Band aus Nottingham vergessen, auch ich: Zum ersten und letzten Mal, dass ich die Band sah, war im Herbst 1993 in Köln gewesen, damals hatte ich Liebeskummer. Dazu passte der pathetisch-dramatische, auch schön abgründige Sound perfekt. Und Stuart Staples, der Sänger, war nicht minder cool als der Sänger von Gallon Drunk, Nick Cave, oder der damals noch recht unbekannte Jarvis Cocker. Danach passten der Tindersticks-Sound und mein Leben nicht mehr so zusammen, irgendwie wurden die Alben der fünf Engländer immer schwelgerischer, betulicher und also irgendwie uncooler; die Tindersticks waren vielleicht nicht unbedingt Mädchenzimmermusik, aber es kam auch nicht von ungefähr, dass sie verstärkt für französische Filme den Soundtrack machten: Kulturen im Niedergang, ab in Richtung Emotionskitsch. Whiskey und Plüsch statt Bier, Denken und subversivem Lärm oder gar der Ahnung von elektronischer Musik, von denen die Band übrigens immer noch nicht im Entferntesten angekränkelt ist.

Momentan jedoch, im Herbst 2016, gläserne Kälte, allseits offene Wunden, so politisch gesehen, scheint es wieder zu passen. Man wird ja auch älter. Selbst Staples sieht inzwischen aus wie ein französischer Bistrowirt, mit Moustache, grau meliertem und leicht schütterem Haar, auch wenn seine Band – besonders Gitarrist David Kitt – noch durchaus jungshaft daherkommt. Aber klar, Staples ist jetzt auch schon 51. Am Supermondtag war sein Geburtstag.

Er hat also bestimmt schon einiges gesehen. Textlich bewegen sich die Stücke vermehrt auf sicherem Pflaster, irgendwo zwischen „feel“ und „pain“ und den letzten Seufzern in der schummrigen Bar, bevor es mit der Tänzerin nach Hause geht. Aber was soll er auch machen? Über seine Prostatabeschwerden singen? Trotzdem schade, denke ich auf meinem Sitz im Oberrang, dass das Abgründige, das Sinistre sich nicht mehr so deutlich findet in diesen immer langsamer werdenden Songs. Keine S/M-Andeutungen mehr, keine „City Sickness“. Vielleicht hat Staples doch seinen Frieden mit dem Leben gemacht, Gallonen von Rotwein werden geholfen haben.

Aber ja, warum der bittere Tonfall? Es war ein rundum schönes Konzert am Montagabend. Die Kulisse war prächtig, die Tindersticks fein aufeinander abgestimmt, jeder Ton, jede Bewegung saß. Schon erstaunlich, wie viele gute Stücke die Band inzwischen auf dem Konto hat – obwohl vorzüglich das letzte, wieder spannendere Album, „The Waiting Room“ (das mit dem Eselskopf auf dem Cover), gespielt wurde. Und Staples, tja, er hat wirklich diese Stimme. Tief, nasal, ausdrucksstark.

Und die omnipräsente Trauer passt auch wieder zum Alter (wie im Song „Dying Slowly“, der leider fehlte) – und der Herbst steht der Band sowieso gut zu Gesicht. Supermond und Gendarmenmarkt taten das Übrige. René Hamann