Orchestre Poly-Rythmo de Cotonou: Der Fluss, der Funk und der Tod

Ein neues Album der Band widmet sich Voodoo-Klängen aus Benin in Westafrika. Die „Polyrhythmik“ im Namen ist mehr als gerechtfertigt.

Männer lachen in die Kamera

In den Sechzigern gegründet, ist Poly-Rythmo schon eine westafrikanische Institution Foto: Youri Lenquette

Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm. Jedenfalls nicht, wenn du aus einem Land kommst, in dem Voodoo Staatsreligion ist. „Bei uns in Benin steht Voodoo in der Verfassung“, erzählte Vincent Ahehehinnou dem britischen Onlinemusikmagazin The Quietus. „Unser Präsident muss sich um ein gutes Verhältnis zu den Vorfahren bemühen.“ Was richtig ist für den Präsidenten, kann auch nicht verkehrt sein für Mitglieder der berühmtesten Funk-Band des Landes. Wobei „Band“ vielleicht gar nicht die richtige Bezeichnung ist für das Orchestre Poly-Rythmo de Cotonou – „Institution“, „Unternehmen“ oder gar „Orden“ würde es vielleicht besser treffen.

Wie mehrere kleine Flüsse sich zu einem immer größer werdenden Strom vereinen, kam das Orchestre in den sechziger Jahren in der Hafenstadt Cotonou zusammen, als sich verschiedene kleinere Bands oder jedenfalls die wichtigsten Mitglieder einiger Bands zusammentaten. Und wie sich so ein mächtiger Fluss auch mal teilt oder in einem riesigen, kaum definierbaren Delta sich verzweigt, kamen immer wieder mal Musiker abhanden. Sie verließen das Land, um in Frankreich Sportlehrer zu werden (wie der allererste Leader des Orchestres), sie gründeten eigene Bands, wurden verhaftet, verschwanden spurlos oder starben.

Zuletzt, im Dezember 2012, erwischte es den langjährigen Kopf des Orchestres, Mélomé Clement, der eines natürlichen Todes starb. Seit den frühen Siebzigern hatte er die Gruppe durch gute wie schlechte Zeiten geführt. Als 2004 zuerst das Londoner Soundways-Label die Compilation „The Kings of Benin Urban Groove“ veröffentlichte und ab 2008 das Frankfurter Label Analog Africa gleich drei weitere, extrem liebevoll editierte Zusammenstellungen auf den Markt brachte („The Vodoun Effect 1972–1975“, „Echos Hypnotiques“ und „The Skeletal Essences Of Afro Funk“), hatte Clement das Orchester erfolgreich in die Gegenwart geleitet.

2009 tourte die Gruppe zum ersten Mal durch Europa, 2011 veröffentlichten die Funk-Hipster des Londoner Strut-Labels unter dem Titel „Cotonou Club“ ein neues Album der Gruppe. Von einem Happy End kann man hier allerdings noch nicht sprechen, denn an ein Ende denkt derzeit niemand, im Gegenteil: Nach Clements Tod ist nun Ahehehinnou Frontmann des Orchestres und unter dem Titel „Madjafalou“ hat es ein neues Album fertig und schaut nach vorne.

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Aber bevor darauf die Sprache kommen kann, muss noch einiges geklärt werden. Schon beim Namen gibt es viel Anlass zur Verwirrung: Auf dem Cover des neuen Albums lesen wir: „Le Tout Puissant Orchestre Poly-Rythmo“, auf dem dazugehörigen Waschzettel dagegen heißt die Band „Poly-Rythmo de Cotonou“. Das ist ganz typisch für eine Band, die unter rund 30 Varianten ihres Bandnamens Tonträger veröffentlicht hat: T. P. Orchestre Poly-Rythmo, Le Poly-Rythmo de Cotonou, L’International Poly-Rythmo, L’Orchestre Poly Rythmo de Cotonou Dahomey … „Tout Puissant“ (abgekürzt „T.P.“) ist französisch für allmächtig, Dahomey der frühere Name von Benin. Dazu kommen noch etliche Namensverschleierungen, die man sich ausdenken musste, weil man wieder mal seinen Hauptarbeitgeber, Albarika Store, das aus einem Plattenlabel hervorgegangene wichtigste Label Benins, betrügen wollte.

Begleitmusik des Vodoun

Die künstlerische Konzeption der Musikervereinigung ist schnell erklärt: „Wir modernisierten die alten Rhythmen und kombinierten sie mit westlichen Genres, die zu der Zeit en vogue waren“, erklärte Clement im Jahr 2009 die Musik seiner Band. „Der Reichtum der Voodoo-Rhythmen ist so riesig, dass man niemals zu seinem Kern vordringen kann“, ergänzte Ahehehinnou. „Aber wir haben es versucht.“

In den Liner Notes zu „The Vodoun Effect 1972–1975“ schreibt Samy Ben Redjeb, Betreiber des Frankfurter Labels Analog Africa: „Der kulturelle und spirituelle Reichtum traditioneller Musik hat einen großen Einfluss auf Benins moderne Musik. Benin ist der Geburtsort von Vodun (auch Vodoun oder, wie es im Westen am häufigsten geschrieben wird: Voodoo), einer Religion, zu der die Verehrung von gut 250 Gottheiten gehört. Die Rituale, bei denen diesen Gottheiten gehuldigt wird, haben immer eine Begleitmusik. Die meisten der komplexen Polyrhythmen des Vodun sind immer noch mehr oder weniger ein Geheimnis und schwierig zu entschlüsseln, selbst für gestandene Musiker. Die Komponisten und Arrangeure des Orchestre Poly-Rythmo begriffen, dass sie umgeben waren von einer Goldmine inspirierender Klänge, die, wenn sie modernisiert und vermischt wurden, mit was auch immer gerade angesagt war, einen großen Einfluss auf die urbane Bevölkerung haben würden.“

Samy Redjeb, Label Analog Africa

„Die meisten der Polyrhythmen des Vodun sind immer noch ein Geheimnis“

Vor allem zwei der ungezählten Voodoo-Rhythmen haben Eingang in die Musik des Orchestres gefunden: Sato und Sakpata. „Sato ist ein traditioneller Vodun-Rhythmus“, erklärte Clement. „Er kommt in Benin zum Einsatz während der jährlichen Rituale zu Ehren der Verstorbenen. Man kann Sato nicht einfach zu jeder Zeit spielen.“ Sakpata wiederum ist ein Rhythmus, welcher der Gottheit huldigt, die vor Windpocken bewahrt.

Diese rhythmische Basis erweiterte das Ochestre um den afroamerikanischen Hard Funk von James Brown, Sly Stone und den Meters, aber auch um psychedelisch-verzerrte Leadgitarren, die sich merklich von den Post-Highlife-Gitarrenkonzepten der anderen führenden westafrikanischen Bands jener Zeit unterschieden.

Le Tout Puissant Orchestre Poly-Rythmo de Cotonou: „Madjafalao“ (Because Music/Alive)

Clement und seine Kollegen verehrten aber auch afrokubanische Musik und die großen westafrikanischen Popstars von Fela Kuti und Franco bis zu Manu Dibango. Ab Mitte der siebziger Jahre waren sie selbst anerkannt als eine der führenden und vor allem wandlungsfähigsten Bands der Region, was ihnen nicht nur etliche Studiojobs als Begleitband lokaler Größen einbrachte, sondern auch Tourneen als Backing Band von Manu Dibango (der sie später als beste Begleitband rühmte, die er je hatte), Ernesto Djedje und Bella Bellow.

Allerdings war Benin 1972 ein totalitärer sozialistischer Staat geworden, und langsam spürte man die Auswirkungen dieser Entwicklung. Das Orchestre passte sich zwar der neuen Zeit insofern an, als man auch mal staatstragende Botschaften oder Hymnen auf Helden der Arbeit ins Programm aufnahm. Aber während der Ruhm der Band im angrenzenden Ausland wuchs und man auf Tour durch die Elfenbeinküste, Kongo, Burkina Faso und sogar das vom Bürgerkrieg gezeichnete Angola reiste, verkümmerte in der Heimat das Nachtleben mehr und mehr. Nicht zuletzt durch die Tatsache, dass jeder Club sein Programm regelmäßig durch die staatlichen Nachrichten und wichtige Reden politischer Führer unterbrechen musste.

Zuletzt konnte das Orchestre in der Heimat so selten live spielen, dass man dort davon ausging, es habe sich aufgelöst, obwohl das offiziell nie der Fall war. Endlich konnte 2001 wieder ein neues Album veröffentlicht werden, das den zweiten Frühling der Gruppe einläutete.

Mehr Deepness

Die Polyrhythmik im Namen zu führen ist auch beim neuen Album „Madjafalao“ absolut gerechtfertigt, denn die rhythmischen Schichtungen, die hier aufgetürmt werden, sind schon ziemlich einzigartig. Dabei bleibt die Performance der einzelnen Musiker trotz aller Komplexität entspannt und lässig. So kann man dem Album eigentlich nur vorwerfen, dass es etwas bieder produziert wurde. Der französische Musikjournalist und Westafrika-Spezialist Florent Mazzoleni begnügte sich damit, die Gruppe anständig aufzunehmen. An Sounddetails wurde jedoch dem Anschein nach weniger gearbeitet, auch ein klangliches Gesamtkonzept lässt sich nicht feststellen.

Gewünscht hätte man sich etwas mehr Deepness, Geheimnis und Gefährlichkeit, wie es die Aufnahmen des Orchestres in ihrer Glanzzeit auszeichnete und wie man es von Vertretern der Voodoo-Kultur erwartet.

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