taz-Serie: Die Reichsbürger (Teil 4): Mann ohne Land

D. S. ist ein Eigenbrötler, begeistert von Chemie. Mit den Reichsbürgern hat er gebrochen. Seinen Platz gefunden hat er in diesem Land nicht.

Eine Person sitzt auf einer Bank, im Hintergrund ein Schiff

„Ich bin ein hochsensibler Mensch. Ich kann mit Gewalt nichts anfangen.“ – D.S. am Fluss. Foto: Wolfgang Borrs

BERLIN taz | Am Nachmittag eines grauen, diesigen Herbsttags balanciert D. S., ein dünner Mann mit müden Augen, über eine Metallplanke auf ein Schiff, das an einem Fluss am Rand von Berlin liegt. Es ist bereits dunkel. Er trägt Schuhe mit hohen Absätzen. Im Schwarz unter ihm schwappt eiskaltes Wasser.

Mit dem Schiff verbindet sich sein Plan. Sein neues Leben, wenn es gut geht. Sein Name soll nicht in der Zeitung stehen, nur seine Initialen, sonst könnte man ihn googeln. „Ich bin ein Fluchttier“, sagt er, „ich gehe Konfrontationen aus dem Weg. Deshalb auch das mit dem Schiff.“ Im Internet hatte er nach Möglichkeiten gesucht, wie er der Aufsicht der Ämter entgehen kann. So kam er auf das Thema Schiffsrecht. Aber seine Existenz aufs Wasser zu verlegen brauchte Zeit. Also googelte er weiter. Das war 2010.

Vier Jahre später wurde er zu einer Chiffre für die Gefahr, die von Reichsbürgern ausgeht. Dazwischen liegen Razzien, eine Einweisung in die Psychiatrie, ein Prozess und eine Geschichte wie eine Mischung aus McGyver und Kafka. Sie handelt von einem Mann, der zwischen Behördendruck und Reichsbürgerideologie fast zermahlen wurde.

„Ein Angehöriger eines Phantasiestaates hortete bis Mitte 2012 auf seinem Grundstück in Neukölln Sprengstoff.“ So steht es in einem Reichsbürger-Infoblatt der Senatsverwaltung für Inneres. Die Rede ist von D. S. Die Polizei hatte bei ihm zehn Kartons mit je 500 Sprengstoffkapseln und 127 Bodenleuchtkörper gefunden, alles in allem eine Explosivstoffmasse von 300 Kilo.

Chemikalien wie Preziosen

„Ja, und?“, sagt S. Er steigt nun in den Bauch des Schiffs. Drinnen ist es weit und kühl wie in einer Kathedrale. Von beiden Seiten drängen sich Regale, Kisten, Behälter so dicht, dass nur ein schmaler Gang frei bleibt. S. zieht einen flachen Quader aus einer Box. „Gucken Sie sich das mal an“, sagt er, „der Plattensatz einer Taschenplattenbatterie aus den 70ern. Die Laufzeit beträgt weit über 100 Jahre.“ Diese Batterien sind für ihn etwas Faszinierendes. Aber die Behörden werfen ihm illegale Abfalllagerung vor. „Abfälle sagen die!“, ruft er fassungslos.

Zweimal innerhalb weniger Monate ist es zu Schießereien zwischen Reichsbürgern und ­Polizisten gekommen. Die Radikalität am Rande der Szene hat deutlich zugenommen, zugleich breitet sich deren Ideologie immer ­stärker aus. Was bedeutet es, dass sich mehr und mehr Menschen aus der Bundes­republik abmelden?Letzter Teil nächste Woche: Die dunkle Macht der Bürokratie – wenn Demokratie erodiert. Ein Essay. Hier geht es zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3.

Alles hier ist für ihn kostbar. S. hat bereits vieles verloren. All die Dinge, die er angesammelt hatte. Wertvolle Chemikalien, beschlagnahmt und entsorgt, ein Fass voll Fluocinolonacetonid, ein Schaden von, sagt S., zwei Millionen Euro. Wenn es um die Materialien geht, liegt in seiner Stimme ein großer Schmerz. Er klettert wieder nach oben. Ein kalter Wind schneidet übers Ufer. S. zieht seinen Mantel um sich. Er steuert ein Vereinslokal an. Zwei Männer trinken Bier am Tresen. S. bestellt heißen Kakao und überlegt, wie er anfangen soll.

„Reichsbürger“, sagt er, „ich wusste gar nicht, was das ist.“ D. S., 43 Jahre, hatte in Neukölln ein Grundstück gekauft. Von dort führte er einen Großhandel für Chemikalien. Er lebte auch dort, mit seiner Freundin, die 30 Jahre älter ist. S. sagt, er stand schon immer auf ältere Frauen. Hillary Clinton etwa, die findet er attraktiv. „So Muttchen. Da fühle ich mich gut aufgehoben.“

Im Auftrag von Insolvenzverwaltern räumte S. stillgelegte Fabriken aus. Er kaufte Materialien auf, die er darin fand. Auch als Pyrotechniker arbeitete er. „Fachlich hat mir bisher keine Behörde etwas vormachen können“, sagt er. Das ist ein Teil des Problems. S. sagt, das Bezirksamt Neukölln habe immer neue Nachweise gefordert. Wie ist sein Lager eingerichtet? Ist sein Grundstück dafür geeignet?

Hoffnung bei den Reichsbürgern

Als wegen einer Ordnungswidrigkeit ein Verfahren in Gang kam, geriet er in Bedrängnis. Da stieß er im Internet auf eine Seite, auf der er las, dass die Bundesrepublik kein legitimer Staat sei und dass ihm die Behörden nichts vorschreiben könnten. Er nahm die Begriffe von der Seite, googelte und landete auf der Seite von Peter Frühwald, der das Konzept „staatliche Selbstverwaltung“ propagiert. Demnach kann man sich quasi aus der Bundesrepublik abmelden. Eine Hoffnung. „Ich hab von dem Zeug keine Ahnung. Man kann mich nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz fragen, nach der Strahlenschutzverordnung. Aber von Politik und Recht hab ich keinen Plan.“

Damit steht S.’Schicksal für dieses Milieu, das als Auffangbecken für viele gilt: Trittbrettfahrer, insolvente Unternehmer, Menschen mit Steuerschulden. Aber auf der anderen Seite knüpfen auch Neonazis an die Szene an. S. ahnte davon nichts. Er belegte ein Seminar bei Frühwald. Die Leute, die er dort traf, seien keine Rechten gewesen, darunter ein Mann, der Probleme mit dem Jugendamt hatte. Ein Nudist, der nackt wanderte und eine Anzeige kassierte. Ein Transsexueller, dem die Krankenkasse Probleme machte. „Solche Leute waren da. Weil da Freaks waren, fühlte ich mich richtig.“

Aber damit begann sich eine Spirale zu drehen, in der es immer schneller nach unten ging: S. feuerte seinen Steuerberater, weil er glaubte, dem Finanzamt nichts zu schulden. Auf seinem Grundstück stellte er ein Schild auf: „Republik Freies Deutschland Hoheitsgebiet.“ Er schickte den Behörden Briefe voller Paragrafen. Vordrucke, die Frühwald ausgehändigt hatte. Eine Antwort erhielt er nie. Das spornte ihn an. „Wenn mit mir einer nicht diskutiert, komme ich damit nicht klar.“ So kam das eine zum anderen, Bußgeldbescheid, Mahnungen, die Androhung von Erzwingungshaft. S. widersprach, argumentierte, schließlich soll er gedroht haben, massiv. Deshalb musste er sich vor Gericht verantworten. S. sagt: „Man hat alles getan, um mich zu kriminalisieren und zu psychiatrieren.“

„Er hat geniale Züge“

Rainer Teschner-Steinhardt, Leiter des Umweltamts Neukölln, hatte D. S. häufiger im Büro. „Er hat geniale Züge“, sagt er, „aber sein Gesamtauftreten ist merkwürdig. Wir haben eine Sachverständigenprüfung auf seinem Gelände angeordnet, und in der Folge hat er uns mit unglaublich viel Papier überhäuft.“ Seine Behörde habe unter Zugzwang gestanden, das Landeskriminalamt ermittelte. „Die ganze Situation war unübersichtlich. Man war sich nicht sicher, was dort überhaupt lagert. Es gab Behälter ohne Aufschrift und Stoffe, deren Verfallsdatum abgelaufen war.“ Möglich, dass S. sich noch zurechtgefunden hat. „Aber von außen sah das Gelände verwildert und chaotisch aus.“ 400.000 Euro habe die Räumung den Bezirk gekostet.

Damit steht S.’ Schicksal für dieses Milieu, das als Auffangbecken für viele gilt: Trittbrettfahrer, insolvente Unternehmer, Menschen mit Steuerschulden

D. S. sitzt ganz still in der Gaststätte, alles glitzert, die Silberfäden in seinem Kleid, die Perlen in seinen Ohren. Von den Drohungen, weswegen er angeklagt war, sind nur Bruchstücke überliefert. Im Telefonat mit einer Mitarbeiterin des Amtsgerichts sollen die Worte „gnadenlos vollstrecken“, „auslöschen“ und „Nazizeit“ gefallen sein. S. streitet das ab. Er räumt aber ein, eine Mail ans Bezirksamt Neukölln gesandt zu haben: „Im Fall eines Angriffs wird Gewalt unglaublicher Härte gegen alle Beteiligten eingesetzt.“ „Das ist provokativ gewesen“, sagt er, „Ich war ein bisschen sauer. Und übermüdet. Es war unglücklich formuliert.“

S. wuchs in Ostberlin auf, ein hochbegabter Schüler, der in Chemie und Physik brillierte. Er machte eine Lehre zum Mess- und Regeltechniker. Danach bildete er sich fort im Bereich Sprengstoffe und Industriechemie. Er wirkt, als habe er sich wund gerieben an all den Kämpfen. Was nun noch hinzukommt: Seine Freundin ist 73, sie wurde in ein Pflegeheim eingewiesen. S. kann nicht davon sprechen, ohne zu weinen.

Nicht schuldfähig

Im April 2013 wurde bei ihm eine wahnhafte Störung diagnostiziert. S. sagt, Anhänger von Frühwald hätten ihm vorgegeben, was er dem Gutachter sagen soll. Also trug er Reichsbürger-Thesen vor. Er wurde in die Klinik des Maßregelvollzugs eingewiesen. Zu Prozessbeginn war er weg. Ausgebrochen. „Ich hab’den Code des Schlosses extrahiert und dann aus dem Teil einer Plastikflasche, einer Büroklammer und dem Teil eines Kugelschreibers einen Generalschlüssel gebaut.“ Monate später wurde er in Polen aufgegriffen. Das Landgericht sprach ihn im Mai 2014 frei: nicht schuldfähig.

S. senkt den Blick; wie er es sieht, haben die Behörden seine Existenz absichtlich vernichtet: Er hatte eine Genehmigung für die Lagerung von Pyrotechnik. Bloß war das, was die Polizei bei ihm fand, weit mehr, als er hätte haben dürfen – das ist die Version der Behörden. „Es war so zulässig“, sagt S., „es wurde ja nicht gelagert, sondern befand sich im Arbeitsgang.“ Dafür gelten andere Grenzen.

Es gibt keinen Hinweis, dass die Behörden gegen Recht verstoßen haben. Und doch bleibt der Eindruck, S. wurde Unrecht getan. Mit den Reichsbürgern hat er gebrochen. „Das sind Betrüger, die nutzen die Notlagen von Leuten aus.“ Frühwald hatte ihn an einer schwachen Stelle erwischt; er stellte in Aussicht, dass ein anderes Land möglich sei, eines, in dem es einen Platz für Menschen gibt wie ihn.

Der Traum von einer besseren Republik

„Man wollte auf dem Gebiet der Bundesrepublik etwas Soziales machen. Etwas Menschliches. Damit haben sie die Leute geködert. Nicht mit irgendwelchen Reichs-Ideen.“ Er fragt sich manchmal, warum es für Menschen wie ihn keine Hilfen gibt. Hätte ihm einer gesagt: Passen Sie auf, Sie sind auf eine obskure Gruppe reingefallen, dann hätte er sich was anderes einfallen lassen, sagt er. So aber nahm die Eskalation ihren Lauf.

S. ist ein Sonderling. Aber gefährlich? Er lächelt traurig. „Ich bin ein hochsensibler Mensch. Ich kann mit Gewalt nichts anfangen. Ich komme ja nicht mal mit jungen Frauen klar, weil die mir zu quirlig sind.“ Was er sich wünscht, ist Ruhe.

Dann läuft er noch einmal zum Schiff, holt sein Laptop. Er will ein Feuerwerk zeigen, das er an Silvester aufgebaut hatte. S. schaut auf das Video. Vor ihm explodieren Feuerspiralen, alles verschwimmt im gleißenden Licht. Zum ersten Mal wirkt er gelöst.

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