Das Radio sind wir

Podcast ist Radio aus dem Internet: von allen, für alle. Der Weg vom Produzenten zum Hörer ist kurz. Doch wer steckt hinter diesen Sendungen? Die taz nord hat sich drei Podcasts aus Hamburg näher angesehen

Von Christian T. Schön

Im Anfang war das Wort, und das Wort war im Radio, und das Radio hatte das Wort. Und das Radio sendete Musik zwischen den Worten und Worte zwischen der Musik, und bald gar keine Worte mehr und alle sendeten nur noch dieselbe Musik in ganz Radio-Land.

Das heißt, nicht ganz. Eine kleine Community stöpselt ihre eigenen Mikros an die Computer und plappert drauf los. Radio-Guerrillieros im ganzen Land empfangen ihre Botschaften über das Internet. Sie nennen sich „Podcaster“, und ihre Botschaft kommt im „Podcast“.

Nüchtern betrachtet ist der Podcast nichts anderes als eine MP3-Audio-Datei, die man aus dem Internet auf seinen Computer herunterladen und anhören kann: zumeist lesen graue Mäuschen und Ohrabkauer aus ihren Tagebüchern Interessantes, Witziges und Komödiantisches vor. Die Tagesschau stellt ihre 20-Uhr-Nachrichten als Podcast bereit, Radiosender Interviews und Buchbesprechungen.

Über 350 Podcaster gibt es in Deutschland, 8.000 in den USA. Aus Hamburg senden drei, die pro Sendung mehrere hundert Hörer haben: „Nachtzug nach Hamburg“, „Elbrauschen“ und „St. Pauli Podcast“.

Vermisst: Getränkehalter

Reiko Schmidt ist 33. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Banker: kariertes Hemd, Schlips, Apfelsaftschorle. Einer, der sich darüber aufregen kann, dass im BMW Getränkehalter fehlen, der sich die Zähne mit der elektrischen Zahnbürste putzt und für mehr Ehrlichkeit und Zufriedenheit kämpft. Schmidt ist IT-Consoultant und es ist seine Mittagspause, deshalb der Chic, abends bevorzugt auch er Sweatshirt und Jeans. Tatsächlich beschwert er sich aber in seinem Podcast „Nachtzug nach Hamburg“ schon mal über den fehlenden Getränkehalter und billige No-Name-Produkte. Oder wundert sich über Helmut-Kohl-Auftritte und fragt, ob Schlüsselanhänger noch zeitgemäß sind.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Schmidt ist ein jovialer Talkmaster, der mit intelligentem Witz und Selbstironie durch eine Show ohne Gäste führt. Vor allem seine markante Stimme wird viele Hörer auf seine Homepage locken, wo täglich ab etwa 22 Uhr eine neue Folge erscheint. „Solang‘ ich über hundert Hörer habe“, sagt Schmidt, „mache ich weiter.“ Auch aus Frankfurt, Dresden und Berlin und Enschede in Holland sendete er bereits. Unterwegs sei es „jedes Mal ein Abenteuer, ohne eigenen Internetanschluss den Podcast online zu stellen“.

Der Prollige und der Sachliche

Steffen Zörnig bestellt eine heiße Schokolade im Café „Balzac“ in der Hamburger City. „Kaffee ist mir zuwider!“ sagt der BWL-Student, der als Programmierer jobbt und „Elbrauschen“ produziert. Gemeinsam mit Maurice Renck, der an diesem Morgen in der Schule für sein Abi lernt. Fünf Sendungen machen die zwei pro Woche. Meistens im Wechsel, wobei Renck sich in der Rolle des Prolls „Hein“ eher für das Zotig-Klamaukige und Zörnig für das Technisch-Sachliche zuständig erklärt. Sogar in den Podcast-Top 50 waren sie mit „Elbrauschen“ bereits. Top 50, das heißt: knapp tausend Zuhörer pro Sendung.

„Seit sechs Jahren mache ich Podcasts“, sagt Steffen Zörnig. Angefangen hat er bei SF-Radio, einem Internet-Radiosender für Science-Fiction-Fans. So richtig bekannt sei das Podcasten aber geworden, als Apple im Juni das Format in seinen Music Store integrierte. Seitdem gibt es „Elbrauschen“.

Als einzige Hamburger beteiligten sich Steffen Zörnig und Maurice Renck am „Ersten deutschen Podcasttag zur Bundestagswahl“ im August. Sie stellten den Ablauf im Wahllokal vor (wo Zörnig in den letzten Jahren als „Beihelfer“ teilnahm) und „Hein“ prustete Wahlwerbung über den Äther: „Wenn ihr uns nicht wählt, seid ihr selber schuld!“

Ansonsten spielt Politik wie in den meisten Podcasts kaum eine Rolle. „Bei politischen Themen sacken wir in der Hitliste nach unten“, resümiert Zörnig, während sich die Tasse in seinen Informatiker-Händen dreht.

St. Pauli siegt und siegt und siegt

Im Hamburger Schanzenviertel sitzt Diak Haring im Café bei Espresso und Mineralwasser. Er trägt ein schwarzes Alprausch-Cap und ein T-Shirt von „Grand Hotel van Cleef“. Als er vor vier Monaten von Podcast hörte, war er sofort begeistert. Im Juli stand die erste Folge „St. Pauli Podcast“ im Netz, alle zwei Wochen folgt eine neue. Harings Sendung ist minimal: kein Jingle, keine Erkennungsmelodie, drei Songs, dazwischen ein paar Worte, eine euphorische Bemerkung wie: „St. Pauli siegt und siegt und siegt...“ Mehr nicht.

Im Gegensatz zu den anderen betreibt der bekennende Mac-Fanatic einen Musik-Podcast. Und er hat dabei durchaus eine Mission: Es ärgert den 31-Jährigen nämlich, dass es für Indie-Bands wie Nada Surf und Mando Diao oder Künstler wie Yann Tiersen und Karl Larsson kein Airplay in den Radios gibt. Also spielt er sie: „Die Radiosender sollen endlich schnallen, dass es noch mehr Musik für Hamburg gibt als das Format-Radio.“

3.000 Leute haben sich seine Seite im August angesehen, sagt er. „Der Bedarf ist da, die Leute sind neugierig.“ Sein Handy klingelt. Der Sänger von Tomte ist dran. Haring arbeitet als Konzertveranstalter und Tourmanager, auch für Tomte. So finden sich manchmal Bands aus dem Konzertprogramm in seiner Playlist wieder, aber auch seine Lieblings-Neuerscheinungen. Zurzeit kämpft er außerdem mit der GEMA, die sich im Umgang mit Musik-Podcasts noch unsicher ist, ob sie hier auch Geld abzocken soll.

Vor der Tür der BMW

In den nächsten Monaten wird sich die Spreu vom Weizen trennen, da sind sich die drei Hamburger Podcaster einig. Die Hörerschaft wird zwar größer werden. Aber wer hat Ausdauer und Kraft, regelmäßig zu senden? Wer die Fähigkeit, seine Hörerschaft zu binden? Auf dem Weg zu Reiko Schmidts kleinem „Studio“ kommt man bei seinem Lieblingsbäcker vorbei, vor der Tür steht der BMW. Auf dem alten Holztisch im Dachzimmer stehen das Mischpult und das Großmembran-Mikrophon, die er seit Folge 27 besitzt.

22 Uhr. Still. Nur die Tischlampe macht Licht. Reiko Schmidt schließt die Tür. Ein paar Klicks am Computer. Sprechprobe. Noch einmal hört er sein Handy ab, auf dem er sich unterwegs Ideen „notiert“. Dann der Klick auf die rote Taste. Er spricht frei, ohne Notizen. Nach zwei Takes ist „Nachtzug 40“ im Kasten. 22:35 Uhr. Die Sendung steht als MP3-Datei im Netz.

Elbrauschen: http://www.elbrauschen.deNachtzug nach Hamburg: http://nachtzug-nach-hamburg.blogspot.comSt. Pauli Podcast: www.dagehteiniges.net