Eine kaltschnäuzige Neurotikerin

Kino Die jetzt anlaufende Französische Filmwoche bietet mit Paul Verhoevens „Elle“ eine wunderbare Isabelle Huppertin einem wahrhaft perfide irritierenden Film

Wer ist hier cooler? Christian Berkel und Isabelle Huppert in „Elle“ Foto: Französische Filmwoche

von Tim Caspar Boehme

Michèle wird vergewaltigt. Brutal. Das sieht man zunächst nicht, hört es dafür umso heftiger. Sie schreit, stöhnt, eine Männerstimme brüllt, es kracht und klirrt, dazu das Klatschen von Schlägen. Das erste Bild dann zeigt Michèles Katze, Augenzeugin des Verbrechens, bis die Kamera schließlich beim eigentlichen Geschehen landet: Ein mit Sturmhaube maskierter Mann liegt auf Michèle, vor ihr zerbrochenes Geschirr, die Balkontür steht offen. Alles deutet auf Einbruch hin.

Doch Michèle kehrt wie selbstverständlich die Scherben zusammen, wirft die zerrissenen Kleider in den Müll und geht zum Tagesgeschäft über. Zur Polizei geht die Chefin einer Computerspielfirma allerdings nicht. Lieber versucht sie selbst, dem Täter auf die Spur zu kommen. Schon bald vermutet sie jemanden aus ihrem Umfeld hinter der Tat.

Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven hat mit seiner französisch-deutschen Produktion „Elle“, die im Mai in Cannes zu sehen war, mehrfach für den Europäischen Filmpreis nominiert ist und jetzt im Programm der Französischen Filmwoche gezeigt wird, seiner Hauptdarstellerin Isabelle Huppert eine wie auf den Leib geschneiderte Rolle ausgesucht. Diese Rolle steht ihr sogar so gut, dass man wohl übereinkam, die auf den ersten Blick tragische Figur ironisch zu brechen. Huppert jedenfalls gibt ihre Michèle mit so kaltschnäuziger Entschlossenheit, dass es eine wahre Freude ist, ihr zuzusehen, wie sie den Menschen um sich herum leise, aber ohne Rücksicht auf diplomatische Verluste die Meinung sagt. Worunter besonders Michèles Mutter zu leiden hat.

„Elle“ gibt sich dabei als Thriller – einen virtuos dramatischen Orchestersoundtrack der britischen Komponistin Anne Dudley inklusive –, der sich zugleich genüsslich zerlegt und in dem Gewalt, wie sich irgendwann herausstellt, nicht ausschließlich kriminellen Zwecken dient. An der Seele beschädigt sind einige der Beteiligten, auch Michèle hat ihre Last zu tragen, was Huppert mit ihrem ausgeprägten Sensorium für neurotische Charaktere virtuos zu verkörpern weiß. Mitunter geht es blutig zu, wie oft bei Verhoeven, was aber vor allem den grotesken Zug des Films verstärkt. Und auch Michèle weiß sich erfolgreich zur Wehr zu setzen.

„Elle“ gehört zu den bemerkenswertesten Filmen im Programm der Französischen Filmwoche, die auch Beiträge aus Belgien, Québec und der französischsprachigen Schweiz bietet. In zwei Fällen überschneidet sich das Angebot sogar mit dem Festival „Around the World in 14 Films“: Olivier Assayas’ feine Spukfilm-Etüde „Personal Shopper“ und Xavier Dolans klassisches Familiendrama „Einfach das Ende der Welt“ sind beziehungsweise waren auch dort zu sehen (siehe taz vom 23. 11.).

Der niederländische Regisseur Paul Verhoeven hat mit seiner mehrfach für den Europäischen Filmpreis nominierten französisch-deutschen Produktion „Elle“, die jetzt im Programm der Französischen Filmwoche gezeigt wird, seiner Hauptdarstellerin Isabelle Huppert eine wie auf den Leib geschneiderte Rolle ausgesucht

Alte Bekannte gibt es einige mehr, so sind die belgischen Dardenne-Brüder mit ihrem etwas blassen Sozialdrama „Das unbekannte Mädchen“ vertreten, Wim Wenders’ „Die schönen Tage von Aranjuez“, eine beharrlich um sich selbst kreisende Peter-Handke-Verfilmung in 3-D, kann ebenfalls begutachtet werden.

Auch das Biopic-Genre kommt verschiedentlich zur Geltung. Gleich zur Eröffnung wird mit „Jacques – Entdecker der Ozeane“ von Jérôme Salle der Tiefseeforscher Jacques Cousteau geehrt. Um bei der Forschung zu bleiben: „Marie Curie“ von Marie Noëlle folgt dem Leben der Physikerin und Chemikerin, die bis heute als einzige Frau mehrfach den Nobelpreis erhielt. Bis auf ein paar ulkige Kameraeinstellungen macht sie das allerdings stark konventionell. Zudem bleibt die Frage, ob in einem vergleichbaren Spielfilm über Albert Einstein dieser ebenso beim Besteigen eines Badezubers im Adamskostüm ins Bild gesetzt würde.

Einer der eigenartigsten Filme dieses Jahr hingegen dürfte Bruno Dumonts schwarze Komödie „Die feine Gesellschaft“ sein, eine in der Normandie angesiedelte Gesellschaftsparodie, in der die armen Fischer an der Küste nach dem Grundsatz „eat the rich“ vorgehen, und zwar buchstäblich. Juliette Binoche und Valeria Bruni Tedeschi drehen als degenerierte Adlige nach Leibeskräften frei, korpulente Polizeikommissare heben zwischendurch nach Luftballon-Manier ab, auf Dauer ermüdet der beharrliche Klamauk aber. Nur für Freunde expliziter Kannibalismus-Praktiken.

30. November bis 7. Dezember, verschiedene Kinos, www.franzoesische-filmwoche.de