Volksbühne Berlin Er lässt es noch einmal krachen: Mit muskelstarrem Dauerlächeln verabschiedet sich Herbert Fritsch von diesem Theater
: „Pfusch“ ist ein schöner Titel

Ein Höhepunkt der Arbeit an den Klavieren in „Pfusch“ Foto: Thomas Aurin

von Katrin Bettina Müller

Stockhausen? Ist dieses Einprügeln auf die Klaviere, die schon ganz schön ramponiert aussehen, vielleicht doch ein Zitat einst berühmter Avantgarde, so obstinat, wie da auf die immer gleichen Tasten eingedroschen wird? Mit vollem Körpereinsatz von, mal nachzählen, immerhin dreizehn Darstellern an dreizehn Klavieren? Moderne Kunst womöglich, und man erkennt es wieder nicht, weil alle dabei so entschlossen grimassieren, ein muskelstarres Dauerlächeln ins Publikum, das selbst schon prustet vor Heiterkeit?

Aber nein. „Musik: Ingo Günther“ steht auf dem spärlichen Programmzettel und das ist sicher der, der im roten Diva-Retroschick den Bandleader gibt. Wir befinden uns in der Volksbühne in Berlin, letzte Spielzeit der Castorf-Intendanz, letzte Premiere von Herbert Fritsch unter diesem Vorzeichen. „Pfusch“ der schön deutbare Titel. Ingo Günther ist schon lange Fritschs musikalischer Partner, zusammen haben sie den Theaterapparat schon seufzen, stöhnen und knarzen lassen und die Sinnfreiheit dabei äußerst ansprechend komponiert, strukturiert, choreografiert. Diesmal ist es ein Achteltakt, der über gut vierzig Minuten mit Fingern, Fäusten und Ärschen auf den Tasten durchgehalten wird, und teils auch gehüpft, in bunten, wehenden Kleidchen ornamentale Muster in den Raum schreibt.

Das ist mal so der erste Teil von „Pfusch“, der schneller vergeht, als man denkt. Im zweiten, die Truppe wechselt zu Badekostümen, kommt eine Grube mit Trampolin zum Einsatz, gewissermaßen ein „Best of Fritsch“, der an der Volksbühne einst mit einem Trampolin in der Komödie „Die spanische Fliege“ den Kampf gegen die körperliche Schwerkraft und die Behäbigkeit von schauspielerischen Traditionen erfolgreich aufnahm. Seitdem sind Slapstick, Klamauk und Artistik zu bewährten Mitteln gegen jedwede Sinnkrise in seinen Inszenierungen geworden. Am schönsten in „der die mann“ mit Texten des Wort­akro­baten Konrad Bayer, schien da doch die Sprache selbst als eigensinniger Körper aufzutreten.

Ein solch hintersinniger Bezugsrahmen fehlt den Körpern in „Pfusch“. Es bleibt der Slapstick und der ist großartig. Besonders Kopfsprünge in ein Becken voller blauen Schaumstoffs, die nach langem Zögern und zelebriertem Zieren ausgeführt werden. Denn die ganze Energie des Sprungs, das Aufmerksamkeit-Pumpen in der Vorbereitung verpufft im Moment der Landung, bleiben sie doch kopfüber stecken, die Beine in der Luft, Ende der Bewegung.

Volksbühne, politischer Schauplatz

Die Premiere am Donnerstagabend hatte ein kleines Volksbühnenvorspiel im Berliner Abgeordnetenhaus, da ging es um den politischen „Pfusch“ gewissermaßen, um Symbolpolitik mit der Volksbühne. Dort musste Michael Müller, Bürgermeister und noch Kultursenator, auf Anfrage der CDU dazu Stellung nehmen, dass Klaus Lederer, von dem neuen rot-rot-grünen Senat in Berlin als Kultursenator nominiert, noch bevor er sein Amt antritt, eine Überprüfung der Verträge mit Chris Dercon, dem kommenden Intendanten der Volksbühne ab 2017 angekündigt hatte.

Lederer, Landesvorsitzender der Linken in Berlin, hatte sich schon lange auf die Seite derer gestellt, die Castorf und dessen Volksbühne nicht beendet sehen wollen. Vermutlich lehnte er sich mit seinem Vorstoß so weit aus dem Fenster, um die eigene Glaubwürdigkeit vor einer Klientel der Linken zu wahren. Gegen Dercon, der bisher vor allem an Museen gearbeitet hat, war großer Widerstand von außerhalb, aber vor allem auch von den Mitarbeitern und Künstlern der Volksbühne artikuliert worden.

Trotzdem scheint der Versuch, den Hebel noch mal umzulegen und das Gesamtkunstwerk Volksbühne zu tradieren, zu diesem Zeitpunkt ein aussichtsloses Anliegen. Spekulationen über die Abfindungen, die Dercon und sein Team beanspruchen können, spielen dabei eine nicht geringe Rolle, auch haben Castorf selbst und viele seiner Regisseure längst andere Verträge. Herbert Fritsch zum Beispiel wechselt an die Berliner Schaubühne. Michael Müller bestätigte denn auch erwartungsgemäß, dass der Senat am Vertrag mit Dercon festhält.

Man fühlt sich wohl in der Nabelschau, die Welt außen dringt nicht mehr vor in diesen Bühnenraum

Wäre die Politik jetzt eine Inszenierung von Herbert Fritsch, sähe man Klaus Lederer vielleicht auch nach einem ersten Anlauf im Schaumstoff stecken, die Beine in der Luft. Die Bilder, die Fritsch erzeugt, laden zu Übertragungen ein, das macht ihren Reiz aus, aber zwingend ist das nicht.

Eine große Abschiedsgala

Die letzte Castorf-Spielzeit hat bisher viel von einer großen Abschiedsgala. Christoph Marthalers Inszenierung „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ war ein federleichter und von milder Melancholie durchzogener Abschiedstanz, René Pollesch ließ im „Volksbühnen-Diskurs“ über das „qualifiziert verarscht werden“ die einstigen Volksbühnen-Stars Martin Wuttke und Milan Peschel in Cowboyunterwäsche vergeblich nach dem richtigen Bühnenbild suchen. „Gebäude, die sprechen können, das kennen die nicht“, redeten die verirrten Schauspieler ihre Gegner an, und klagten, einen Raum „der Auseinandersetzung“ zu verlieren, den „es woanders nicht gibt“. Aber ihr Text blieb auch seltsam schmal, die gespielte Ungeduld der Schauspieler, ihr ausgestelltes Misstrauen in die eigenen Sätze, die Verhaltenheit dem eigenen Jammern gegenüber machte die Sache erst witzig.

So gibt es zwar erstaunlich viel zu lachen in dieser Volksbühnenspielzeit, aber auch das Gefühl, der Abschied ist gegessen. Man fühlt sich wohl in der Nabelschau, die Welt außen dringt zurzeit nicht mehr vor in diesen Bühnenraum, zumindest nicht in den Abenden ihrer großen Regiestars neben Frank Castorf. Man lässt es noch einmal krachen und dankt für die Zeit, die man hier hatte.