Abschiebungen im Winter: Grüne fordern Abschiebestopp

Die Grünen in Bremen treten entgegen Koalitionspartner SPD für ein Abschiebemoratorium im Winter ein. Die anderen Nord-Grünen kuschen.

Menschen demonstrieren

Sind wütend über geplante Abschiebungen nach Afghanistan: Demonstranten in Hamburg Foto: dpa

BREMEN taz | Die Bremer Grünen fordern für das Land einen Abschiebestopp über die Wintermonate. Die Fraktion schließt sich damit einer Forderung an, die Ende November vom Bremer Rat für Integration vorgebracht wurde. Anfang Dezember hatte die Bremer Linksfraktion dazu einen eigenen Antrag an die Bürgerschaft formuliert. Als einzige Grünen-Fraktion im Norden wagen die Bremer nun den Konflikt mit ihrem Koalitionspartner SPD.

Laut dem grünen Innenpolitiker Björn Fecker geht es vor allem um Minderheiten wie die Roma, die bis heute in den Westbalkan-Staaten nicht Fuß fassen können. „Wenn wir schon abschieben müssen, so stellt sich die Frage, ob wir das zu einer Zeit machen, wo Leute in kalte Regionen kommen und de facto ins Elend abgeschoben werden.“

Ein Abschiebestopp sei rechtlich zulässig – auch nach den Asylrechtsverschärfungen auf Bundesebene. „Selbstverständlich hat das Land die Kompetenz für einen Winterabschiebestopp für drei Monate“, sagte Fecker. Seine Fraktion sei bereit, dafür in einen öffentlichen Konflikt mit dem Koalitionspartner zu gehen.

SPD-Fraktionssprecher Matthias Koch sagte der taz, dass die Sozialdemokraten in Bremen einen Wintererlass nicht unterstützen. „Wir haben eine sehr liberale Abschiebepraxis“, sagte Koch. Ein Stopp von Abschiebungen im Winter würde dazu führen, dass in der Zeit auch weniger Leute freiwillig ausreisten. Bei Familien mit Kindern gebe es die Möglichkeit von Ermessensentscheidungen.

„Ein Gebot der Humanität“

Bremen setzt statt auf teure Abschiebungen mehr auf die „freiwillige Ausreise“.

„Freiwillige Ausreise“ bedeutet, dass abgelehnte AsylbewerberInnen einer Abschiebung zuvorkommen. Sie ist oft mit einer Rückkehrer-Beratung verbunden.

Im Jahr 2015 sind im Land Bremen 51 Personen abgeschoben worden. 165 Personen sind freiwillig ausgereist.

Bis September 2016 wurden in Bremen 70 Personen abgeschoben, 486 gingen freiwillig.

Zum Vergleich: Hamburg hat bis Mitte 2016 461 Menschen abgeschoben, 1.605 reisten selbstständig aus.

Ebenso argumentiert das von SPD-Senator Ulrich Mäurer geführte Bremer Innenressort: „Vor dem Hintergrund der großen Zuwanderungswelle im vergangenen Jahr halten wir eine solche Initiative für nicht vertretbar und angemessen“, sagte Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Innenressorts. Der Winterabschiebestopp, der in der Diskussion stehe, betreffe ausschließlich Menschen aus den Westbalkan-Ländern, die inzwischen zu den sogenannten sicheren Herkunftsländern gehörten. Hauptsächlich jene Menschen aber seien es, die ihrer Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise zuvorkämen. „Gäbe es einen Winterabschiebstopp, würde kaum jemand in der gesetzten Frist 'freiwillig“ ausreisen.“

„Unsere Ausländerbehörde ist zudem in der Lage, in gesonderten Einzelfällen und bei besonderen Härten im Rahmen der normalen Verfahren angemessen zu entscheiden“, so Gerdts-Schiffler.

Bremen war bislang unter den Bundesländern für einen liberalen Kurs in der Ausländerpolitik bekannt. 2012 etwa ging Innensenator Ulrich Mäurer mit einem Erlass für einen Winterabschiebestopp noch voran. „Diese Winterregelung ist ein Gebot der Humanität“, erklärte er damals. Wo das Ausländerrecht Ermessensspielräume zulasse, werde er sie im Sinne humanitärer Lösungen nutzen.

Keine politische Mehrheit für einen Abschiebestopp

2010 hatte Mäurer mit einem Erlass einen Bürgerschaftsbeschluss umgesetzt, von Abschiebungen von Angehörigen der Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter ins Kosovo im Ermessen abzusehen und ihn zuvor zu unterrichten. Zumindest letztere Regel wurde im März 2016 mit einem Erlass durch den Innensenator auch erneuert.

Doch der Druck auf Bremen aus Berlin ist enorm. Ohne die „freiwilligen“ Ausreisen mitzuzählen, wird auf die Abschiebezahlen des Landes verwiesen, bei denen Bremen im Ländervergleich – auch relativ – Schlusslicht ist. Wenn das Haushalts-Notlageland sparen wolle, solle es endlich mehr Leute abschieben, so das Argument.

Diesem Druck beugen sich auch die Grünen in den anderen Nord-Bundesländern: Es handele sich um „schlichte Realität“, dass es für einen Winterabschiebestopp keine politische Mehrheit gebe, sagte Antje Möller, die innenpolitische Sprecherin der Hamburger Bürgerschafts-Grünen. Und auch in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein wollen sich die Grünen nicht für einen formalen Winterabschiebungsstopp stark machen.

Der Bremer Rat für Integration befürchtet nun, dass sich die Zahl der Abschiebungen in Bremen deutlich erhöht. Die Härtefallkommission werde immer häufiger mit Fällen konfrontiert, die zeigten, dass das Gesetz unmenschlich ausgelegt werde – auch bei gut integrierten Familien mit Kindern.

Für Sofia Leonidakis, fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, ist das eine „Folge der Aushöhlung des Asylrechts durch die Bundesregierung“. Zu ihrem Bürgerschaftsantrag für einen Winterabschiebestopp sagte sie: „Man kann von systematischem Ausschluss der Roma auf dem Balkan sprechen.“ Durch Abschiebungen im Winter würde eine „reale Gefährdung“ in Kauf genommen.

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