Verfassungsreferendum in Italien: Er wollte alles und erreichte nichts

Mit seinem Versuch, links und rechts zu überzeugen, scheiterte Matteo Renzi grandios. Mit dem Rücktritt nimmt er die Verantwortung auf sich.

Ein Mann in Anzug und Krawatte steht vor einer Italien- und Europafahne

Er geht mit Grandezza: Matteo Renzi Foto: dpa

ROM taz | Ein Plebiszit hatte Matteo Renzi gewollt, ein Plebiszit nicht nur über seine Verfassungsreform, sondern auch über seine Regierung, seine Person. Und ein Plebiszit hat er bekommen, mit einer unerwartet hohen Beteiligung der Bürger am Referendum, mit einem ebenso unerwarteten Riesenabstand zwischen den Ja- und den Neinstimmen.

Was dem forschen Regierungschef da widerfuhr, war weit mehr als eine Niederlage – es war ein Debakel, an dem es nichts zu deuten, nichts schön zu reden gibt. Und diesen Tribut muss man Renzi zollen: In seiner Rede nur gut eine Stunde nach Schließung der Wahllokale, in der er seinen Rücktritt erklärte, sprach er völlig ungeschminkt von seiner eigenen Verantwortung für das Desaster.

Fast 70 Prozent der Bürger stimmten am Sonntag ab, und 60 Prozenz von ihnen verwarfen Renzis Reform. Es war eine Reform, die die Macht des Senats beschneiden, die die politischen Prozesse vereinfachen, die das Land regierbarer und seine Institutionen effizienter machen sollte. Durchgezogen hatte Renzi sein Projekt allein mit den Stimmen seiner Regierungskoalition im Parlament, in der Überzeugung, seine zupackende Art werde den Wählern – gleichsam als Vorgeschmack auf die neuen goldenen Zeiten des Durchregierens – kräftig imponieren und ihm den Erfolg im Referendum sichern.

Das Gegenteil war der Fall. Renzi darf sich den zweifelhaften Erfolg zurechnen lassen, eine Negativkoalition gegen sich vereint zu haben, die von rechtsaußen, von der populistisch-fremdenfeindlichen Lega Nord über das Berlusconi-Lager zur Protestbewegung der Fünf Sterne ebenso wie zu den Resten der radikalen Linken, aber auch zum Minderheitsflügel aus Renzis eigener Partito Democratico (PD) reichte, in der aber auch das Gros der Verfassungsrechtler des Landes präsent war.

Renzi ist nur noch bei den Rentnern stark

Dennoch glaubte der Premier, er könne diese Schlacht gewinnen, mit dem Aufbruchsversprechen, nach der Verfassungsreform werde Italien gar zur „Lokomotive Europas“. Eben dieses Versprechen nahmen ihm die Wähler nicht ab. Immerhin war Renzi schon seit gut 1.000 Tagen als Regierungschef im Amt, hatte er den Italienern immer wieder den nun wirklich anstehenden Aufbruch in Aussicht gestellt, ohne dass sich an ihrer wirtschaftlichen Lage entscheidendes geändert hätte, seit er im Februar 2014 die Macht übernommen hatte.

Und so stimmte, vom hohen Norden bis in den tiefen Süden, das Land kompakt gegen ihn. Nur in Südtirol sowie in den alten linken Stammlanden und PD-Hochburgen Emilia-Romagna und Toskana stellte sich die Mehrheit der Wähler auf Renzis Seite. Und je perspektivloser die Menschen ihre Situation empfinden, so klarer fiel ihr Votum aus. In den Regionen des abgehängten Südens fielen gar 70-75% der Stimmen an die Neinfront. Auch unter den Jungwählern gewann Renzi keinen Blumentopf. Ausgerechnet er, der immer die Zukunft im Munde führt, ist nur noch unter den Rentnern stark.

Vor allem scheiterte Renzi mit dem Projekt, die politische Landkarte Italiens völlig neu zu ordnen. Das Verfassungsreferendum: Es sollte zur Geburtsstunde der von ihm erträumten „Partei der Nation“ werden, einer Partei, die unter seiner Führung allein, aus eigener Kraft heraus die Geschicke des Landes lenken sollte. Dafür wollte er den linken Minderheitsflügel der eigenen PD kaltstellen, die Berlusconi-Rechte pulverisieren und ein Gutteil der Mitte-Rechts-Wähler zu sich herüberziehen und schließlich Beppe Grillos Protestbewegung an die Wand drücken. Doch Italiens politische Realität sieht anders aus. Das Land ist in drei etwa gleichstarke Blöcke gespalten. Die PD kommt in allen Umfragen auf 30 bis 33%. Auch die Rechte liegt trotz ihrer Spaltung und ihrer tiefen Krise stabil bei etwa 30%. Und Beppe Grillos Movimento5Stelle kann ebenfalls einen Anhang von mittlerweile 30% der Wähler verzeichnen.

Keine Alternative zum Rücktritt

Renzi versuchte diesen beiden anderen Lagern seine Reform auf seine Art schmackhaft zu machen. Halb gab er den Postideologen, der auch linke Zöpfe abschneidet, um sich der Rechten als energischer Leader der Nation schmackhaft zu machen, halb griff er zu populistischen Tönen, verkaufte seine Reform als Angriff auf die „Kaste der Politiker“, um in Grillos M5S zu wildern.

Renzi wollte alles, und er erreichte: nichts. Die einen stimmten gegen ihn, weil ihnen die Verfassungsreform missfiel, weil sie eine weitere Machtkonzentration und ein Minus an Demokratie fürchteten, die anderen, weil sie die von Renzi ohne Not geschaffene Gelegenheit nutzen wollten, ihn aus dem Amt zu jagen. Ein Argument dagegen war im Wahlkampf nur am Rand präsent: Europa, die EU, der Euro. Nicht gegen Brüssel votierten die Italiener, sondern gegen die Regierung in Rom.

Schon deshalb hat Renzi keine Alternative zum Rücktritt. Es gilt als ausgemacht, dass Staatspräsident Sergio Mattarella jetzt entweder den bisherigen Schatzminister Piercarlo Padoan oder den Senatspräsidenten Pietro Grasso mit der Bildung einer Übergangsregierung betraut. Deren Aufgabe wäre es, den Haushalt 2017 durchs Parlament zu bringen, dann das Wahlrecht zu reformieren und Italien im Frühjahr 2017 zu führen.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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