Gesprächsversuch mit Front-National-Sympathisanten
: Zombie im eigenen Zuhause

Globetrotter

von Elise Graton

Ab und zu vermietet A. ein Zimmer ihres Pariser Vororthäuschens. Kürzlich beherbergte sie einen in Thailand lebenden Franzosen, der sich schnell als Front-Nationalist entpuppte. Aus ihren politischen Überzeugungen machen Front-Nationalisten mittlerweile keinen Hehl mehr. A., stramm links, sowieso noch nie. „Das Geld habe ich dringend gebraucht“, erzählte sie am Telefon. „Also dachte ich: Was soll’s! Wenn ich schon einen an der Backe habe, lässt sich vielleicht miteinander diskutieren?“ Das ging nicht.

Es ging nicht, beipflichtend zu nicken, als der Gast seiner circa 25 Jahre jüngeren thailändischen Freundin am Frühstücks­tisch erklärte, Migranten nähmen den Franzosen die Arbeitsplätze weg. Es ging auch nicht, in seinen Jubel einzustimmen, weil Donald Trump zum Sieger der US-Wahl erklärt wurde. Und es ging genauso wenig, zuversichtlich in die französische Zukunft zu blicken. „Er meinte, all seine sozialistischen Freunde würden sich nach und nach von FN-Argumenten anstecken lassen“, so A., die sich im eigenen Haus bald unwohl fühlte.

They’re turning!

„They’re turning!“ – sie verwandeln sich, würden Rick und seine Bande die Lage beurteilen. Rick und Co. sind die ums Überleben kämpfenden Zombie-Protagonisten der US-Horror-Serie „The Walking Dead“. Genreüblich verwandeln sich diejenigen in Zombies, die von einem gebissen wurden. Untypischerweise fungieren die Monster der Serie allerdings nicht als Metapher für neu erwachte Rechtsextreme oder sonstige hirntote Mitläufer. Es scheint eher so, als würden „The Walking Dead“-Zombies die allgemeine Natur widerspiegeln – von ihrer hässlichsten Seite.

Es gab Zeiten, da war die Natur die mächtigste Bedrohung der Menschheit. In Zeiten der Horrorbedrohung wird der Mensch sein eigener größter Feind. Es geht schließlich ums blanke Überleben. Mit der Zeit lernte der Mensch, sich vor wilden Tieren, Viren und Unwettern zu schützen. Er lernte, mit Naturphänomenen umzugehen, indem er sie verstand. Noch immer geschehen Katastrophen, aber der Mensch ist der Natur bei weitem nicht mehr so ausgeliefert.

In der siebten Staffel – Spoilerwarnung hin oder her – flippen Rick und seine Freunde nicht mehr panisch aus, sobald sie einer Horde Zombies begegnen. Mit lässigem Hieb in den Kopf werden die Untoten ins Jenseits befördert – und nur, wenn es wirklich sein muss. Schlimmer ist, dass allmählich die Essens- und Medikamentenvorräte knapp werden, doch mittlerweile haben es sich alle mit Gemüsegarten und soliden Mauern gemütlich eingerichtet. Fast bleibt genug Muße, sich Gedanken über Freizeitbeschäftigung und Weiterbildung zu machen – beispielsweise mit dem Bau eines Krankenhauses, eines Schwimmbads oder einer Ganztagsschule. Kaum spielen Zombies nur noch eine pittoreske Statistenrolle, geht die Gefahr für die Lebenden umso grotesker voneinander aus. Ein fremder Clan hat es auf Ricks Gemüsegarten abgesehen, und gleich geht das zwischenmenschliche Demütigen und Ausrotten los – während wir Zuschauer feststellen, dass der Selbsterhaltungstrieb des Menschen weiterhin verrückt spielt, sobald ein stabiles Plateau der Evolution erreicht scheint. In regelmäßigen Abständen müssen wir uns grundlos gegenseitig die Fresse polieren. Einmal, so erzählt mir A. aufgeregt, wurde sie von ihrem Gast mit der Einsicht konfrontiert, „Mein Kampf“ beinhalte durchaus interessante Aussagen. „Das Buch hat der Idiot nicht mal gelesen!“ Da platzte ihr der Kragen, aber den Feind hat sie letztlich doch nicht vor die Tür gesetzt. Nach einem Monat „Horror im eigenen Idyll“ sei er von selber abgereist.

„Irgendwie vermisse ich die Zombies“, meinte P. kürzlich, mit dem ich die TV-Serie schaue. Ich auch, sagte ich. Es wäre aber durchaus vorstellbar, dass die untote Gewalt demnächst wieder zurückschlägt. Schließlich beinhaltet die Vergänglichkeit der Natur auch die Sterblichkeit des Menschen. A. hat jedenfalls eine Lehre aus ihrem Horror-Untermieter gezogen. Mehr denn je hat sie vor, sich das Leben so schön und sinnvoll wie möglich zu gestalten. „Ich höre mich gerade um, wie ich die obere Etage an eine Flüchtlingsfamilie vermieten könnte.“ Es sollte halt eine sein, mit der sich hoffentlich diskutieren lässt.

Elise Graton ist freie Journalistin und Übersetzerin in Berlin