„Migration wird kriminalisiert“

Abwegig „Grenzüberwachung ist keine Lösung“, sagt der zuständige Direktor des Westafrika-Staatenbundes Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) und kritisiert die EU-Rücknahmeabkommen mit afrikanischen Ländern: „Wir wissen gar nicht, was da im Geheimen verhandelt wird“

Sanoh N’Fally, Direktor für Freizügigkeit in der Handelskommission von Westafrikas Regionalorganisation Ecowas Foto: Hugo

Interview: Andrea Stäritz

taz: Herr Sanoh N ’Fally, Westafrika ist weit fortgeschritten, was Freizügigkeit angeht. Seit 1979 gibt es das entsprechende Protokoll der Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft), seit 2000 den Ecowas-Pass, der Personalausweis ist auf dem Weg, nun geht es um gemeinsame Visa-Politik, das ECO-Visum und die Währungseinheit. Wie beeinflusst die europäische Politik Ihre Arbeit?

Sanoh N’Fally: Es ist grauenhaft, dass junge Menschen im Meer ertrinken, nur weil sie sich eine bessere Zukunft wünschen und im Ausland ihr Glück versuchen. Wir müssen alles daransetzen, sie in ihren Ländern zu behalten und für die Jugend bezahlte Beschäftigung zu schaffen.

Mein Eindruck ist, dass Sie hier in den Kommissionen für Migration, Umwelt und Landwirtschaft eine progressive Politik entwickeln, während gleichzeitig ein paar Straßen weiter die Kommission Frieden und Sicherheit die Grenzen schließt.

Wir können versuchen, die irreguläre Migration zu bekämpfen und das Grenzmanagement zu verbessern. Aber es ist doch nicht nötig, Migration zu kriminalisieren und junge Menschen zu bekämpfen, die Grenzen passieren. Das ist keine Lösung. Eine gute Lösung ist Entwicklung im Herkunftsland. Die EU und die anderen Geber müssen ihre Aktivitäten mehr auf diesen Bereich ausrichten. Und wir haben die Verantwortung, das sicherzustellen.

Sanoh N'Fally

Sanoh N’Fally aus Guinea ist Direktor der Abteilung „Free Movement and Tourism” in der Ecowas-Handelskommission, zuständig für Migration, grenzüberschreitenden Handel und den biometrischen Personalausweis in Westafrika.

Ecowas (Economic Community of West African States) ist Westafrikas wichtigste Regionalorganisation.

Finden Sie damit Gehör? Das Grenzmanagement wird zu großen Teilen von den Gebern finanziert.

Meiner Meinung nach müsste der Großteil des Geldes in die wirtschaftliche Entwicklung gehen. Dieses Grenzmanagement ist nicht die beste Lösung. Denn die jungen Menschen haben unzählige Möglichkeiten, die Grenzen zu passieren. Wenn an einer Stelle die Grenzen überwacht werden, finden sie an anderer Stelle eine andere Möglichkeit. Es wird nur gefährlicher und sie sterben. Das ist das Drama. Die einzige wirkliche Lösung heißt Beschäftigung.

Verrät Ecowas also die Interessen ihrer Bürger, wenn sie das Geld für die Hochrüstung der Grenzen akzeptiert? Drohnen, die Rapid Intervention Force, Überwachungstechnologie?

Die Grenzüberwachung ist keine Lösung. Wir haben eine Tradition der Freizügigkeit in der Region. Man darf dieses Geld nicht akzeptieren. Die Kommission Frieden und Sicherheit soll Terroristen bekämpfen, ja! Aber Grenzen verstärken, um junge Menschen von der Migration abzuhalten, ist keine vernünftige Lösung. Wir müssen Druck auf die Kommission Frieden und Sicherheit ausüben, damit sie sich auf den Kampf gegen die Terroristen konzentrieren und nicht auf die Verstärkung der Grenzen, um junge Migranten zu bekämpfen.

Die Lösung: „Die Mobilität in der Region erhöhen; die Jugend unterstützen; Handel erleichtern“

Menschenrechtsaktivisten sind sehr besorgt wegen der Rücknahmeabkommen und der Rückschiebungen. Welche Position nehmen Sie ein?

Ich unterstütze diese Art von Abkommen überhaupt nicht. Das passiert unabhängig von der Ecowas. Wir hier wissen gar nicht, was da im Geheimen verhandelt wird.

Das passiert hinter Ihrem Rücken?

Ja, wir werden nicht über diese Rücknahmeabkommen und Abschiebungsverhandlungen informiert. Eine Empfehlung des EU-Afrika-Gipfels von Valletta vor einem Jahr war, dass Polizisten aus unserer Region nach Europa geschickt werden, damit sie die Migranten identifizieren, um sie zurückzuschicken. Diese Art von Aktivitäten unterstütze ich ganz und gar nicht. Da sagt ein Migrant, er sei aus Niger, aber das stimmt nicht. Wie soll denn der nigrische Polizist ihn identifizieren? Sobald die Migranten unsere regionale Grenze überschritten haben, zerstören sie ihre Dokumente. Wenn man sie nach ihrer Herkunft fragt, sagen sie Burkina Faso und nicht Niger. Sie sehen, das ist keine Lösung. Man versucht, Migration zu kriminalisieren.

Was kann man nun tun?

Wir müssen die jungen Menschen, die Bevölkerungen über die Gefahren illegaler Migration aufklären. Und die Grenzbeamten bezüglich unserer eigenen, regionalen Migration schulen, wie sie dazu beitragen können, die Mobilität in unserer Region auszubauen. Damit kann man Migrationsbewegungen steuern. Wenn wir die Mobilität in der Region erhöhen und die Jugend unterstützen, hier ihr Business aufzubauen, Handel erleichtern und Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, können wir zur Lösung der Krise beitragen. Deswegen arbeiten wir auch mit Hochdruck an dem Ecowas-Personalausweis und dem intraregionalen Datenaustausch, um Sicherheit zu gewährleisten.