Nordische Kunst zur NS-Zeit: Hitler in stabiler Seitenlage

Kernige Halligbauern, norddeutsche Landschaften und Schäferhunde: Eine Ausstellung untersucht die Politik des Flensburger Museumsbergs rund um die NS-Zeit

In einer Ausstellung in Paris stand er einfach herum, in Flensburg legt man ihn lieber ab Foto: dpa

FLENSBURG taz | Es komme vor, dass die Leute an die Kasse träten, ihren Eintritt bezahlten und dann fragten: „Wo ist denn hier die Nazikunst?“ Maria Migawa lächelt leicht gequält. „Das ist genau das, was wir nicht meinen!“, sagt sie. „Der Ausstellung geht es vielmehr darum, auszuloten, wie unterschiedlich die Künstler Schleswig-Holsteins sich während der NS-Zeit verhalten haben, ohne in schlichtes Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen.“

Wer etwa hat versucht, seinen künstlerischen Idealen treu zu bleiben, ohne sich mit den Machthabern allzu offen anzulegen. Und was für Bilder sind dabei entstanden? Wer hat sich eine Nische gesucht, auch um zu überleben? Wer hat sich aber auch langsam mit den Nazis angefreundet. Und wem kamen sie gerade recht, mit ihren Vorstellungen vom Raum und dem nordischen Volk, so wie man es selbst schon Jahrzehnte vorher gedacht und also auch gemalt und gezeichnet hatte?

Die Kulturwissenschaftlerin ist derzeit Volontärin auf dem Museumsberg in Flensburg. Sie hat die aktuelle Sonderausstellung „(un)beteiligt – Kunst im Dritten Reich: aus der Sammlung des Museumsberg Flensburg“ konzipiert – es ist ihre erste eigenständige Ausstellung. Und die versucht nichts geringeres, als die Geschichte des Hauses und die seiner Sammlung vor, während und nach dem Nationalsozialismus schlaglichtartig zu beleuchten. Schlaglichtartig, denn: „Die Quellenlage ist eine Katastrophe: Wir haben so gut wie nichts.“

Besonders zu den hoch problematischen Ausstellungen von damals hätten sich keine hauseigenen Ausstellungsakten mehr angefunden, hat doch der langjährige Leiter des Museums Fritz Fuglsang mit Blick auf die Jahre 1933 bis 1945 offenbar ganze Arbeit geleistet: kräftig aussortiert und vieles weggeschafft, als nach 1945 ein anderer Wind wehte. Mal davon abgesehen, dass er selbst als Person bis 1961 unwidersprochen im Amt blieb. Und was er möglicherweise übersah, dürfte seine Nachfolgerin Ellen Redlefsen entfernt haben. „Wir wissen, dass diese in Raubkunst im Osten involviert war“, sagt Maria Migawa. Was sie dort genau tat, kann derzeit noch nicht seriös eingeordnet werden.

Doch zum Glück fanden sich in anderen Museen noch Briefwechsel mit dem Haus; konnten bisher unbearbeitete künstlerische Nachlässe gesichtet werden. Und manchmal half schlicht ein Blick in die Ausgaben damaliger Tageszeitungen, um zu erfahren, welche Kunst Zustimmung fand und welche Misstrauen auslöste.

Dabei beginnt die Ausstellung scheinbar harmlos mit dem wuchtigen Schinken „Leute am Meer“ von Ludwig Dettmann: Ein Paar sitzt am tosenden Meer, und vieles ist hier schon angelegt, gemalt 1907, also noch zu Kaisers Zeiten: der Mann, den es in die Welt zieht, um sie zu erobern; die Frau, die daheim bleibt und ihm den Rücken stärkt.

„Ich werde manchmal bei Führungen gefragt, ob man das schön finden darf“, erzählt Migawa. Und genau darum geht es: mittels einer vorurteilsfreien Betrachtung scheinbar unpolitischer Landschaftsabbildungen und Porträts ihrer Bewohner sich mit den in ihnen enthaltenen völkischen und nationaldeutschen Strömungen vertraut zu machen. Wie z.B. am Halligbauer, der mit festem Blick aus seinen blauen Augen über sein noch kleines Reich schaut, weit über das Sujet regionaler Heimatkunst hinausreicht.

Das Schäferhunde-Bild hing noch bis zum Sommer bei der Polizeidirektion, wo es offenbar schlecht behandelt wurde

Aber auch Emil Nolde ist vertreten, der anfangs so gerne mitmachen wollte bei den Nazis und dem seinerzeit sehr an der Konstruktion einer „deutschen Kunst“ gelegen war. Ebenso Franz Radziwill – und das hat gewissermaßen einen Flensburger Grund: Er war mit dem dortigen Marinemaler und Marineoffizier Fritz Witschetzky gut befreundet.

Und die beiden waren nicht nur zusammen auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1933 in Nürnberg, wo es ihnen sehr gut gefallen hat, wie sie sich später brieflich gegenseitig versicherten, sondern Witschetzky sorgte dafür, dass Radziwill als Maler auf manchem Kriegsschiff mitreisen durfte, während Witschetzky umgekehrt malerisch Radziwill nacheiferte, ohne je dessen malerische Klasse zu erreichen. Franz Frahm-Hessler ist mit zwei Selbstporträts dabei: eines von 1932 zeigt ihn mit Pfeife und kecker Baskenmütze noch als weltoffenen und europäischen Lebemann, nur fünf Jahre später malt er sich als den deutschen Mann, der er nun geworden ist.

Und dann ist da Käte Lassen, gewiss Flensburgs bekannteste Malerin, die mit ihrer Adaption moderner skandinavischer Formsprache punktete und deren Werke man sich daher bis heute gut anschauen kann. Sie wich zeitweise nach Dänemark aus, versuchte sich lange von der NS-Kulturbürokratie fernzuhalten, was den dortigen Funktionären nicht entging. Von Lassen stammt allerdings auch ein waschechtes Hitler-Bild. Wirklich: der Führer in aufrechter Pose, mit dem bekannten Seitenscheitel und diesem knappen Bart unter den Nasenlöchern, den man bis heute „Hitlerbärtchen“ nennt. Eine – das ist schriftlich belegt – Auftragsarbeit für die Flensburger Credit-Bank im Zentrum der Stadt.

Heute erstreckt sich dort die Fußgängerzone und in dem einstigen Bankgebäude residiert seit längerem eine McDonalds Filiale. Eigentlich gehört Lassens Hitler-Bild als Bild ja an die Wand, zumindest aufrecht hingestellt. Aber geht das? Ist das nicht zu kräftig, zu stark? Und nicht zuletzt hat die Aussicht, im Internet auf jede Menge Selfies von jungen Leuten vorm Hitler-Bild zu stoßen, die Verantwortlichen dann doch zögern lassen. So liegt es nun auf der Seite. Einfach umgekippt, sozusagen. Plus Arno Breker-Büste, nur nicht auf einem Sockel gestellt, sondern wie achtlos nebenher auf dem Boden abgelegt.

Diese Art Installation funktioniert erstaunlich gut: Man stutzt, schaut und dreht den Kopf dabei und es fällt einem auf, wie wenig heroisch, fast karikaturhaft diesmal Hitler dargestellt ist. Allein sein Kopf ist irgendwie viel zu klein gemalt und will von den Proportionen her so gar nicht zu dem starren Körper in der senfgelben Paradeuniform passen. Wie hat Lassen ihr Porträt nach der Vorlage eines Repräsentationsfotos von Hitler in der Reichskanzlei gemeint? War hier Subversion am Werk? Kann man so weit gehen oder verhebt man sich jetzt?

Und dann ist da noch Käte Lassens zweites Bild: zwei fast stilisierte, flächige Schäferhunde, eingefasst in einem Kreis, insgesamt seltsam schlecht gemalt. Auch hier gibt es eine schriftliche Auftragsanweisung und auch hierzu gibt es eine Geschichte: Denn Lassen wurde beauftragt – das ist schriftlich belegt – ein Bild zu erschaffen, das höchste Wachsamkeit darstellen sollte, während im Hintergrund das Hakenkreuz die erstrebte Vereinigung von Volk und Staat symbolisiert. Doch auf dem Bild ist beim besten Willen kein Hakenkreuz zu erkennen!

Also kursiert bis heute hartnäckig die Geschichte, die Malerin sei bei Kriegsende zu ihrem Bild geeilt und habe das Hakenkreuz hastig übermalt. Wofür es keinerlei Belege gibt. Im Gegenteil: Restauratorische Untersuchungen inklusive Analyse mit UV-Licht haben ergeben, dass dort nie ein Hakenkreuz aufgemalt war. Gab es vielleicht ein zweites Bild? Und wenn, gibt es das noch? Fakt wiederum ist: Das Bild der Schäferhunde hing noch bis zum Frühsommer bei der Flensburger Polizeidirektion. Wo es offenbar schlecht behandelt wurde, mit Fingerabdrücken übersät, hier und da eingerissen und beschädigt.

Bietet Käte Lassen also Gelegenheit, über mögliche Fluchten nachzudenken, ist das bei dem Maler Wilhelm Petersen, der sich mit Haut und Haaren den Nationalsozialisten verschrieb, eine eindeutige Sache: Er war 1942 als Kriegsberichterstatter und Zeichner in Polen unterwegs und hat dazu die Mappe „Totentanz in Polen“ mit Illustrationen und auch mit Texten gefertigt.

Ein Auszug: „Aus stinkenden, nachtdunklen Höhlen kriechen Juden. Weibszeug, mit schnuppernden Nüstern wie Ratten, mit verschlagenen Augen, peilt die Lage.“ Fuglsang fordert diese Machwerke an und stellte sie aus. Wohlgemerkt: Nicht, weil er von außen dazu gedrängt wurde, sondern aus gänzlich eigenem Antrieb. Maria Migawa sagt denn auch mit Blick auf Petersens Blätter: „Fuglsang hat sein Haus nicht bloß verwaltet, sondern es klar im Sinne der Nationalsozialismus gestaltet.“

Petersen blieb unbehelligt: Nach dem Krieg arbeitete er bis 1969 als Illustrator für die Hörzu, wird 1975 gar für sein malerisches Werk mit dem renommierten Friedrich-Hebbel-Preis der gleichnamigen Stiftung in Wesselburen bedacht – wie bis heute auf deren Homepage unkommentiert vermerkt ist.

Die Ausstellung auf dem Flensburger Museumsberg könnte helfen, generell die schleswig-holsteinische Kunstlandschaft vor und während, aber auch nach der NS-Zeit neu zu beleuchten. Allein, es fehlt an vielen Orten an Geld, an Mitteln. Nur zwei Prozent des Etats der Bundesstiftung „Zentrum für Kulturverluste“, der für Rechercheprojekte im Kontext von Raubkunst, aber auch für die Aufarbeitung der Ausstellungstätigkeiten von Museen und Kunsthäusern während des Nationalsozialismus gedacht ist, fließen in das nördlichste Bundesland.

Dabei ist ein Anfang mehr als gemacht, viele richtige Fragen sind klug gestellt, erste Schneisen auf dem Weg zu einer kritischen Erkenntnis damit geschlagen. Erst einmal aber endet Maria Migawas Tätigkeit im Januar nächsten Jahres. Dabei merkt man ihr an, wie gern sie ihre Arbeit – nicht nur auf dem Museumsberg – fortsetzen würde. Schließlich hängt manches Werk mancher Maler, denen sie hier nachspürt, ansonsten noch unkommentiert und uneingeordnet in den regulären Dauerausstellungen Schleswig-Holsteiner Kunstmuseen.

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