Über die Entwicklung einer eigenen linken Kultur
: Die Stunde der K-Gruppen

Knapp überm Boulevard

von Isolde Charim

Es ist an der Zeit, sich über die Funktion von K-Gruppen zu unterhalten. Sie mögen das erstaunlich finden, aber sehen wir uns deren Funktion einmal an. Von den 1960er bis in die 1990er Jahre – das war die Zeit dieser kommunistischen Gruppen, die sich in allen ideologischen Schattierungen an den Universitäten etablierten. Es war die Zeit, wo die kommunistischen Parteien mehr oder weniger schnell an Bedeutung verloren – nicht zuletzt, weil sie nicht fähig waren, neue linke Strömungen aufzunehmen – und die Sozialdemokraten sich (etwas später) langsam aufgemacht haben, ihren Weg in die Mitte anzutreten. In dieser Konjunktur stand eine stark links orientierte Studentenschaft ohne adäquate politische Institutionen da. Das war die Stunde der K-Gruppen. Sie haben Generationen von Studenten begleitet und geprägt. Und die Funktion, die sie dabei erfüllten, war eine erstaunliche.

Soziale Desintegration

In den K-Gruppen tummelten sich hauptsächlich Bürger- und Kleinbürgerkinder. Hier haben sich diese von ihren Herkunftsmilieus gelöst. Hier haben sie die Logik, die Selbstverständlichkeit, den Horizont ihrer Klasse überschritten. Wenn Didier Eribon schreibt, sein jugendlicher, studentischer Marxismus sei das Instrument seiner „sozialen Desintegration“ gewesen, dann ist das Arbeiterkind Eribon hier die paradoxe Ausnahme von dem, was für Bürgerkinder an den Universitäten – nicht minder paradox – die Regel war. War Marx lesen für Arbeiterkinder der Eintritt in die Welt der Privilegien, so war dieselbe Lektüre für Bürgerkinder das Mittel der Desintegration gegenüber der eigenen Herkunft ebenso wie das Mittel der Distinktion gegen nichtlinke Kommilitonen.

Nicht nur war Marx lesen (oder Lenin, Trotzki oder Mao, je nach Ausrichtung) ein Austritt, die kollektive Lektüre (so etwas las man nicht im einsamen Elfenbeinturm), die Praxis der K-Gruppen (auch ihre Rivalitäten untereinander) – all das war nicht nur das Nachspielen von Meisterpartien, wie beim Schach. All das trug auch zur Entwicklung einer eigenen linken Kultur bei. Einer Kultur, die sich „am Mythos des proletarischen Aufstands berauschte“ (Eribon). Einer Kultur, die geleitet war von Bildern – wie jene, die gerade anlässlich von Fidel Castros Tod wieder durch die Medien geisterten. „Bilder der Fülle“ (wie Charles Taylor sie in ganz anderen Zusammenhang nannte) vom schönen, vom guten Aufstand und Bilder von der Intensität des Lebens. Diese linke Kultur der K-Gruppen mit ihren Mystifizierungen hat die linke Theorie gentrifiziert. Würde man das heute als kulturelle Aneignung bezeichnen – oder als politische?

Aber die K-Gruppen haben auch ganz unmystisch ihre neugewonnenen Linken eingespeist – erst in die akademische und von da aus in die gesellschaftliche Umlaufbahn. Allerdings nicht als organisch mit dem Proletariat verbundene Intellektuelle, wie sie Gramsci vorschwebten, sondern an diametral entgegengesetzten ökonomischen und gesellschaftlichen Plätzen. Die K-Gruppen haben die renitenten Bürgerkinder verändert. Sie haben deren Renitenz in eine Produktivkraft verwandelt. So haben oft die größten Linken die größten Karrieren gemacht. Die Funktion der K-Gruppen war also Renitenzbewirtschaftung.

Anders gesagt – die K-Gruppen haben eine bürgerliche Linke erzeugt. Eine linke Theorie, eine linke Kultur, eine Politik – eine Linke, deren Träger renitente Bürgerkinder waren. Linkssein ist mittels der K-Gruppen zu einem (post-) bürgerlichen Phänomen geworden. Diese Funktion wirkte an den Universitäten noch lange nach – weit über die Blütezeit und weit über die Mitglieder der K-Gruppen hinaus.

Man sollte sich das in Erinnerung rufen, wenn man sich heute auf die Suche nach dem verlorenen Proletariat macht. Wenn man heute dieses Proletariat als Trump, Front National oder FPÖ-Wähler wiederfindet. Wenn heute der Soziologe Didier Eribon – zu Recht – gefeiert wird und diese Feier zwar auch seiner Hellsichtigkeit, seiner analytischen Schärfe, seinem Mut gilt – aber ebenso dem Umstand, dass das ehemalige Arbeiterkind Eribon Ethnologe und ethnologisches Objekt zugleich ist.

Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien.