Betrugsverdacht bei Asylbewerbern: Mehrfach kassiert

In Niedersachsen sollen 300 Geflüchtete mehrfach Sozialleistungen bezogen haben. Eine Soko ermittelt, der Flüchtlingsrat befürchtet Verallgemeinerungen

Vor der Registrierung: Geflüchtete warten vor der Braunschweiger Landesaufnahmebehörde Foto: dpa

HAMBURG taz | In Braunschweig bearbeitet eine Sonderkommission (Soko) der Polizei insgesamt rund 300 Verdachtsfälle auf Sozialleistungsbetrug. Asylbewerber sollen sich bei der Landesaufnahmebehörde Braunschweig mehrfach unter verschiedenen Identitäten registriert haben. Nach einer Verteilung auf verschiedene Kommunen in Niedersachsen sollen sie jeden Monat mehrfach Sozialleistungen bezogen haben, erklärte der Leiter der Sonderkommission, Jörn Memenga. Im Schnitt hätten sich die Flüchtlinge pro Person mehrere tausend Euro erschlichen. Memenga schätzte den Gesamtschaden der aufgedeckten Fälle auf mehrere Millionen Euro.

Laut Asylbewerberleistungsgesetz steht jedem Flüchtling monatlich ein Taschengeld von 135 Euro zu. Wer außerhalb einer Erstaufnahmeeinrichtung mit Massenverpflegung lebt, bekommt weitere Zuwendungen in Höhe von 216 Euro.

Ausgezahlt worden sei das Geld den Verdächtigen je nach Kommune entweder persönlich, oder auf ein spezielles Bankkonto, sagte Memenga. Für die Mehrfachregistrierung hätten die Verdächtigen sich teilweise einen Bart wachsen lassen oder eine Brille aufgesetzt. Die Sacharbeiter hätten während des enormen Andrangs im Sommer 2015 keine Chance gehabt, den Schwindel zu durchschauen.

Matthias Eichler, Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, sagte, es sei eigentlich Standard, dass gleich bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen die Fingerabdrücke genommen werden. „Doch während der Hochzeit des Flüchtlingszuzugs, als täglich 2.000 Menschen kamen, war das tagesaktuell nicht möglich.“ Aus dieser Zeit rührten die Betrugsfälle.

Laut dem NDR war das Ganze durch Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde aufgeflogen, denen Ähnlichkeiten auf den Fotos aufgefallen waren. Zwei Mitarbeiter hätten daraufhin die Gesichter auf Fotos aller registrierten Flüchtlinge verglichen, erklärte Memenga der taz. Die meisten der Verdächtigen sollen aus dem Sudan kommen.

Ob eine Struktur dahinter stehe, könne er noch nicht sagen, so der Soko-Chef. Er gehe aber davon aus, dass es ähnliche Fälle außerhalb Niedersachsen gebe: „Es wird ein bundesweites Problem sein“, sagte Memenga.

Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat sagte der taz, dass es „an den Fällen nichts zu verharmlosen“ gebe. Er warnte allerdings vor einer Verallgemeinerung: „Das Gros der Flüchtlinge hat sich rechtskonform verhalten.“

Kai Weber, niedersächsischer Flüchtlingsrat

„Das Gros der Flüchtlinge hat sich rechtskonform verhalten“

Zu trennen seien die Braunschweiger Fälle von anderen Fällen, in denen sich Asylbewerber mehrfach registrierten – allerdings schlicht, um zu ihren Angehörigen zu kommen. Jede Woche würden Menschen beim Flüchtlingsrat anrufen, die gern bei ihrer Familie in deren Wohnung leben würden, aber in Niedersachsen irgendwo anders hin in eine entfernte Kommune verteilt worden seien. In diesen Fällen käme es manchmal eben auch zu Doppel-Identitäten. „Das kann und will ich verteidigen“, sagte Weber. „Hier kommt es zu einem Staatsversagen, weil die Selbsthilfe-Möglichkeit der Menschen missachtet wird.“

Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative Bremen erklärte, die beschriebene Methode sei überhaupt nur möglich, weil es zu lange Wartezeiten bis zur offiziellen Asylantragsstellung gebe, mit der die Abgabe des Fingerabdrucks verbunden sei. Dies sei keineswegs nur auf die gestiegene Anzahl von Flüchtlingen zurückzuführen: „Man hat die Asylverfahren mit den Asylpaketen I und II für viele Menschen noch bewusst verlangsamt“, sagte Oerter.

Laut Oerter sei es nötig, die aktuellen Fälle einzuordnen: Wenn sich die Ermittlungen bestätigen sollten, sei gegen ein Gesetz verstoßen worden, welches sie selbst von vornherein für nicht verfassungskonform halte.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 in Bezug auf die verminderte Höhe von Sozialleistungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz entschieden, dass die „Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren“ sei. Die Leistungen dürften sich nicht grundlos von der Grundsicherung für Deutsche unterscheiden.

„Das ist bis heute nicht der Fall“, sagte Oerter und verwies unter anderem auf eine eingeschränkte Krankenbehandlung für Asylbewerber. „Das Asylbewerberleistungsgesetz ist unwürdig und gehört abgeschafft.“

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