Radikalenerlass in Deutschland: Niedersachsen macht es vor

Der Radikalenerlass von 1972 begründete politisch motivierte Berufsverbote. Niedersachsen will jetzt die Schicksale von Opfern aufarbeiten.

Das Protrait einer Frau mit grauen Locken und einem blauen Blazer

Ab 1975 durfte sie keine Lehrerin sein, heute kämpft sie für Aufarbeitung: Cornelia Booß-Ziegling Foto: dpa

HANNOVER dpa | Ein Beauftragter der niedersächsischen Landesregierung soll künftig das Schicksal der Betroffenen von Berufsverboten in den 1970er und 1980er Jahren aufarbeiten. In Niedersachsen waren in dieser Zeit mehr als hundert Menschen vom sogenannten Radikalenerlass betroffen, darunter vor allem Lehrer. Bundesweit liefen Tausende Berufsverbotsverfahren.

Eigentlich richtete sich der Erlass von 1972 gegen Links- und Rechtsextremisten. In der Praxis seien aber vor allem politisch Aktive des linken Spektrums von einem Berufsverbot betroffen gewesen, hieß es im Landtag. Erst 1990 hob die damalige niedersächsische Landesregierung den Erlass auf.

Der Landtag will diese Zeit nach einem Beschluss vom Donnerstag nun historisch aufarbeiten lassen. Der neue Landesbeauftragte soll dabei wissenschaftlich unterstützt werden.

Der SPD-Abgeordnete Bernd Lynack sprach von einem historischen Augenblick. Fast 45 Jahre nach dem Radikalenerlass vom 28. Januar 1972 bitte der niedersächsische Landtag die Betroffenen um Entschuldigung.

CDU und FDP dagegen

„Ich freue mich sehr über den Beschluss des Landtags und ich hoffe, dass er eine Strahlkraft in die Republik entfalten wird“, sagte Cornelia Booß-Ziegling von der niedersächsischen Initiative gegen Berufsverbote.

Gleichzeitig zeigten sich die Betroffenen jedoch enttäuscht von der Haltung der Opposition. Die Fraktionen von CDU und FDP hatten den Antrag abgelehnt. „Ich bin überrascht von der Nicht-Lernfähigkeit der CDU“, sagte Matthias Wietzer, der zwölf Jahre lang nicht als Grund- und Hauptschullehrer arbeiten durfte. Diese Haltung erinnere stark an die damalige Zeit.

„Eine pauschale Verurteilung von Berufsverboten ist höchst widersprüchlich“, erklärte die innenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Angelika Jahns. Mutmaßlich gebe es Einzelfälle, in denen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ungerechtfertigt entlassen wurden. „Grundsätzlich gelte aber: Personen, die die freiheitliche, demokratische Grundordnung unseres Staates ablehnen, sollten auch nicht im öffentlichen Dienst arbeiten dürfen“, sagte Jahns.

Der „Sündenfall“ Brandts

Er merke, dass dies kein abgeschlossenes Thema sei, sagte Rolf Günther, der nach 16 Jahren Berufsverbot erst 1991 wieder als Gymnasiallehrer eingestellt und verbeamtet worden war. „Ich habe damals bei der Anhörung betont, dass ich auf dem Boden der Verfassung stehe, doch das hat nicht interessiert“, sagte er. Der Entschluss des Landtags habe ihn sehr bewegt.

Am 28. Januar 1972 beschlossen der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und die Ministerpräsidenten der Länder die „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“. Danach konnte nur Beamter sein und werden, „wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“.

Kritiker bezeichneten die Regelungen als Berufsverbot, mit dem vor allem linke Bewerber aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten oder Mitarbeiter entlassen werden sollten. Brandt bezeichnete den Radikalenerlass später als „Sündenfall“ seiner Regierungszeit. Er habe nicht geahnt, welcher Unfug damit betrieben werden würde.

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