„Trump-Methoden“ und „Falschbehauptungen“: Bei der Autobahn hört der Spaß auf

In Schleswig-Holstein ist wenige Monate vor der Wahl eine Debatte über die Verkehrspolitik aus dem Ruder gelaufen. Opposition und Regierung bezichtigen einander der Lüge.

Sorgt in Schleswig-Holstein auch in der „Ära des Postfaktischen“ für Unruhe: der Autobahnbau. Foto: Carsten Rehder/dpa

BREMEN taz | In Schleswig-Holstein ist rund vier Monate vor der Landtagswahl eine Diskussion über den Umgang mit Fakten und die politische Kultur entbrannt. Das Verkehrsministerium warf dem parlamentarischen Geschäftsführer und verkehrspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Hans-Jörg Arp, „Falschbehauptungen“ vor und reagierte erstmals mit einer offiziellen Richtigstellung.

Ebenso harsch reagierten die Regierungsfraktionen. „Anscheinend ist Arp voll im postfaktischen Zeitalter angekommen“, hieß es von den Grünen. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Martin Habersaat, sprach von „falschen Tatsachenbehauptungen“, die von der CDU nicht das erste Mal in die Welt gesetzt worden seien. Er freue sich, wenn im Wahlkampf „mit verschiedenen Meinungen diskutiert, aber nicht weiter die Ära des Postfaktischen untermauert“ werde.

Harte Vorwürfe, angesichts der Diskussion über Falschmeldungen, die nach den Erfahrungen aus dem US-Wahlkampf entbrannte. War es doch Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU), der die Parteien mit Blick auf die kommende Bundestagswahl aufforderte, auf „unlautere Mittel“ zu verzichten. Entsprechend hart schoss die Opposition zurück: Der FDP-Landtagsfraktionsvize Christopher Vogt etwa warf der Regierung aus SPD, Grünen und SSW ihrerseits die „Verbreitung von Halbwahrheiten“ und die „Trump-Methode“ vor.

Auslöser dieser Fakten-Debatte war ein Auftritt von CDU-Mann Arp. Auf Einladung der Mittelstandsvereinigung der CDU Stormarn in Ahrensburg hatte er am vergangenen Dienstag vor rund 60 Zuhörern die Verkehrspolitik der Landesregierung kritisiert. „In fünf Jahren ist in Schleswig-Holstein nicht ein Meter neue Autobahn eröffnet worden“, wird er von den Lübecker Nachrichten zitiert. Zudem habe der Bund „360 Millionen Euro für Straßenbau in Schleswig-Holstein zur Verfügung gestellt“, wovon „nichts in Anspruch genommen“ worden sei. Außerdem beschäftige der Landesbetrieb für Straßenbau laut Arp „30 Mitarbeiter für die Planung, von denen ein Teil mittlerweile in die freie Wirtschaft gegangen oder von Umweltminister Robert Habeck (Grüne) zur Planung der Stromtrasse abgezogen“ worden sei.

Drei Aussagen, auf die das von Reinhard Meyer (SPD) geführte schleswig-holsteinische Verkehrsministerium jetzt reagierte – und zwar Punkt für Punkt: Aktuell seien 92 Straßenplaner und zusätzlich 23 Mitarbeiter in der im Landesbetrieb angesiedelten Planfeststellungsbehörde beschäftigt, 30 zusätzliche Planerstellen seien zum Jahreswechsel ausgeschrieben worden. Statt „nicht einem Meter“ Autobahnstrecke, wie Arp behauptete, seien 2012 bis 2016 in Schleswig-Holstein 19,5 Kilometer neue Autobahn eröffnet worden.Zum Abruf von Bundesmitteln erklärte das Ministerium: Allein 2012 bis 2015 seien Investitionsmittel des Bundes „in Höhe von rund 586 Millionen Euro“ umgesetzt worden.

Ministeriumssprecher Harald Haase sagte der taz, er habe erstmals eine solche Richtigstellungen veröffentlicht: Denn die falschen Behauptungen blieben schnell in den Köpfen der Menschen hängen. Bei allem Verständnis für Zuspitzungen oder die eine oder andere Halbwahrheit im hitzigen Geschäft des Wahlkampfs: In der politischen Debatte müsse man sich „auf einen Grundtenor an Fakten verständigen – bei allem, was man wiegen, zählen und messen kann“. Es bedürfe eines gemeinsamen Verantwortungsbewusstseins, alles andere führt zu Politikverdrossenheit“, sagte Haase.

Arp sprach hingegen von „Wortklaubereien“: Bei den angesprochenen fehlenden neuen Autobahnstrecken gehe es ihm um solche, die der Minister „selbst fertig geplant“ habe. Auch habe er nicht jene Bundesmittel für Sanierungen gemeint, sondern jene „zusätzlichen Mittel“ für Neubauprojekte, aus dem Investitionsrahmenplan bis 2015: „Von diesen sind nachweislich 325 Millionen Euro nicht abgerufen worden“, erklärte Arp. Er wolle sich „den Mund nicht verbieten“ lassen.

Harald Haase, Verkehrsministerium

„In der politischen Debatte muss man sich auf einen Grundtenor an Fakten verständigen“

„Wie verzweifelt muss ein Verkehrsminister sein, wenn er einen auf Faktencheck macht und sich dabei als Märchenonkel entpuppt?“, sagte FDP-Mann Vogt. Fakt sei, dass die A20 als größtes Neubauprojekt des Landes in dieser Wahlperiode keinen einzigen Meter vorankam. Und Fakt sei auch, dass in dieser Wahlperiode mehrfach Bundesmittel nicht verbaut werden konnten. „Die fehlenden Planungskapazitäten sind das große Problem und da gibt es auch nichts schönzureden“, so Vogt.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sagte vergangene Woche, die A20 sei das einzige Versprechen, das die Koalition nicht eingehalten habe und man wolle in der nächsten Wahlperiode mit aller Kraft weiterbauen. „Wie weit wir kommen, ist allerdings auch eine Frage der Ressourcen.“ Schon heute könne das Land kaum einen Kilometer Autobahn zusätzlich bauen, weil nicht genügend Tiefbaukapazitäten verfügbar seien. „Die Menschen und die Bagger sind nicht in ausreichender Zahl da – alles, was wir jetzt mehr an Geld da reingeben würden, würde jeden Kilometer nur teurer machen, aber nicht automatisch zu mehr Kilometern führen.“

Schon für die auslaufende Wahlperiode hatten SPD, Grüne und SSW den Weiterbau der A20 bis zur A7 vereinbart. Das wurde verfehlt, weil das Bundesverwaltungsgericht das Vorhaben stoppte. In den Planungen sei der Fledermausschutz nicht hinreichend berücksichtigt gewesen, urteilten die Richter. Schuld sei mangelnde Vorbereitung durch die CDU-geführte Vorgängerregierung gewesen, sagte Albig. „Da darf sich die CDU gern an die eigene Nase fassen.“

Grünen-Fraktionsvize Andreas Tietze forderte indes mehr Seriösität: „Es ist unverantwortlich, wenn Menschen mit falschen Behauptungen verunsichert werden. Diese werden auch nicht wahrer, wenn Kollege Arp sie in die Welt setzt.“

Zum Umgang mit Falschmeldungen erklärte die Sprecherin der Grünen-Fraktion, Claudia Jacob: „Wir entscheiden im Einzelfall, ob und wie wir darauf reagieren.“ Manchmal lenke das Aufgreifen einer Behauptung noch mehr Aufmerksamkeit darauf, andererseits solle eine falsche Behauptung auch nicht unwidersprochen bleiben. Sie unterschied Falschbehauptungen von sogenannten Fake News, mit denen auch die Grünen konfrontiert gewesen seien. So seien in Aufmachung der Grünen falsche Meldungen verbreitet worden. „Dies kommt insbesondere aus dem rechten Spektrum“, so Jacob.

Der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst erinnerte daran, dass die grundsätzliche Debatte über den Umgang mit Fakten nicht neu sei. „Schon Hannah Arendt hat mit dem Vorurteil aufgeräumt, es gebe nur Wahrheit in der Politik“, sagte Probst. Natürlich verfüge auch die normale Politik über viele Instrumente der Beschwichtigung, der Relativierung, der leichten Verdrehung oder dem Weglassen von Fakten. „Das ist durchaus häufig anzutreffen und das pflegen auch die demokratische Parteien.“

Anders sei es beim „Postfaktischen“, womit es auch die Politik in letzter Zeit häufiger zu tun habe: „Hier wird offen mit Tatsachenbehauptungen operiert, die nachvollziehbar falsch sind“, sagte Probst. Wie darauf zu reagieren ist, werde in den demokratischen Parteien derzeit diskutiert. „Aber diejenigen, die offen mit Lügen hantieren, lassen sich durch Faktenchecks in der Regel nicht beeinflussen“, sagte Probst. „Sie immunisieren sich dagegen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.