Kommentar Urwahl der Grünen: Kein „Spitzenkandidat“

Das knappe Ergebnis zwischen Özdemir und Habeck zeigt: Die Urwahl ist falsch konzipiert. Bei einem derart engen Ausgang ist eine Stichwahl nötig.

Cem Özemir blickt mit verschränkten Armen nach unten, hinter ihm ist eine Kamera auf ihn gerichtet

Der „Spitzenkandidat“ Foto: dpa

Cem Özdemir hat zwar die Urwahl der Grünen gewonnen – aber die Partei hat er nicht hinter sich. Er hat nur 75 Stimmen mehr bekommen als Robert Habeck. Das ist zu wenig, um sich mit dem Titel „Spitzenkandidat“ zu schmücken.

Eindeutig ist nur, wer diese Urwahl verloren hat: Toni Hofreiter. Er liegt mit 26,19 Prozent weit abgeschlagen hinter Özdemir und Habeck, die 35,96 und 35,74 Prozent erhalten haben.

Das knappe Ergebnis zwischen Özdemir und Habeck zeigt: Die grüne Urwahl ist falsch konzipiert. Ein Wahlgang reicht nicht, sondern bei einem derart engen Ausgang wäre eine Stichwahl angezeigt. Sie ist aber nicht vorgesehen.

Es ist schwierig, Wahlverfahren im Nachhinein zu ändern. Aber wenn Özdemir souverän wäre, würde er nun selbst vorschlagen, dass es eine Stichwahl zwischen ihm und Habeck geben soll. Damit würde er die grüne Basis ernst nehmen – und sich selbst. Glaubt er nämlich, dass die Partei hinter ihm steht, würde er ja kein Risiko eingehen. Nimmt Özdemir hingegen an, dass er in einer Stichwahl gegen Habeck scheitern würde, wäre er als „Spitzenkandidat“ schon jetzt falsch.

Ein Zufallsergebnis

Für die grüne Partei wäre es ein Gewinn, wenn es einen zweiten Wahlgang gäbe. Denn die Urwahl war dazu gedacht, die Mitglieder zu mobilisieren und zu begeistern. Diese Bindung an den eigenen Kandidaten wäre weitaus stärker, wenn alle das Gefühl haben könnten, dass kein Zufallsergebnis von 75 Stimmen entschieden hat.

Ein starker männlicher Kandidat wäre schon deswegen wichtig, weil die grüne Spitzenkandidatin Göring-Eckardt angeschlagen ist. Sie hat zwar 70,63 Prozent der Stimmen erhalten – aber ohne Gegenkandidatin. Rund 30 Prozent der Grünen können sich also absolut nicht mit ihr identifizieren und haben den Zettel lieber blank gelassen, als für Göring-Eckardt zu stimmen. Viele Mitglieder können nicht vergessen, dass sie so zentrale Fehler wie die Agenda 2010 zu verantworten hat.

Klar ist nach dieser Urwahl nur: Die grüne Basis denkt längst nicht mehr in Kategorien wie links-rechts oder Fundi-Realo. Stattdessen zählt die Überzeugungskraft der Person. Hofreiter ist nicht gescheitert, weil er bei der Basis nicht geachtet wäre – sondern weil er als ein guter Fachpolitiker gilt, der aber leider nicht die Gabe hat, seine Inhalte griffig und knapp zu formulieren.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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