Russisch-weißrussische Beziehungen: Retourkutsche aus Moskau

An der Grenze Russlands zu Weißrussland finden wieder Kontrollen statt. Die Maßnahme zielt auf Diktator Lukaschenko.

Alexander Lukaschenko (l.) und Wladimir Putin

Derzeit unterkühlte Beziehungen: Alexander Lukaschenko (l.) und Wladimir Putin Foto: reuters

MOSKAU taz | Bautrupps sind im Einsatz. In Windeseile errichten Arbeiter auf den Zufahrtsstraßen zum weißrussischen Nachbarn Hinweisschilder mit der Aufschrift „Grenzgebiet“.

Vergangene Woche verfügte Alexander Bortnikow, Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, ein neues Grenzregime mit Weißrussland. Am Dienstag traten die Regelungen in Kraft. Schilder lassen sich schnell anbringen. Abfertigungspunkte werden jedoch noch auf sich warten lassen.

Russlands Nacht-und-Nebel-­Aktion war eine Retourkutsche für das aus russischer Sicht selbstherrliche Auftreten des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Der hatte im Januar Staatsbürgern aus 80 Ländern, darunter die EU und die USA, einen fünftägigen visafreien Aufenthalt in seinem Reich eingeräumt. Moskau fürchtet, Ausländer ohne gültige russische Visa könnten unkontrolliert nach Russland einreisen.

Unstimmigkeiten zwischen Minsk und Moskau sind nicht selten. Alexander Lukaschenko wird besonders garstig, wenn das Aushandeln von Preis und Mengen für Geld, Gas und Öl bevorsteht. Man könnte ihn auch undankbar nennen, denn die günstigen Zuwendungen des Kreml sicherten dem Diktator das politische Überleben.

Nucleus eines Imperiums

Mit der Errichtung des Grenzregimes zögert Moskau nicht, Vorzüge zunichte zu machen, die die Gründung des russisch-weißrussischen „Unionsstaates“ vor mehr als zwanzig Jahren mit sich brachte: Freie Fahrt von Wladiwostok im russischen Fernen Osten bis nach Brest an der polnischen Grenze. Wer sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht abfinden konnte, für den symbolisierte der Unionsstaat den Nucleus eines Imperiums in statu nascendi.

Moskau hat wenig Glück mit Verbündeten. Denn auch die Eurasische Wirtschaftsunion (EWU) kommt nicht vom Fleck. Präsident Wladimir Putin wollte die EWU nach der Annexion der Krim 2014 zunächst zu einer Wirtschaftsgemeinschaft ausbauen, aus der sich eine politische Union entwickeln sollte. Offiziell stellt die EU die Blaupause.

Doch schon beim Prinzip des freiwilligen Beitritts zeigte sich der Unterschied zu Brüssel. Beobachter vermuten, der Zwist mit Minsk, das neben Russland, Kasachstan, Kirgistan und Armenien der EWU angehört, wird die Entwicklung weiter drosseln.

Kremlnahe Medien berichteten bereits, Weißrussland wolle die EWU und die Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit (OVKS) verlassen. Minsk dementierte jedoch, der voreilig vermeldete Bruch sollte wohl die Belagerungsstimmung in Russland ein wenig anheizen.

Neue Visapolitik

Klar ist, Weißrusslands neue Visapolitik beunruhigt Moskau. „Wenn Lukaschenko die mehrvektorielle Politik fortsetzt, werden sich die Beziehungen nicht zum Besten wenden“, drohte der Vize des Dumakomitees für Staatsaufbau, Michail Jemeljanow.

Hinter der „mehrvektoriellen“ Politik verbirgt sich Moskaus Angst, Lukaschenko könnte sich von Russland als einzigem Bezugspunkt absetzen. Im letzten Jahr hob der Westen aus innenpolitischen Gründen gegen Minsk verhängte Sanktionen auf.

2015 beherbergte Lukaschenko die Verhandlungen über das Ukraine-Abkommen „Minsk II“. Erst kürzlich einigte sich die EU mit ihm über den Bau von Auffanglagern für Flüchtlinge in Weißrussland.

Ob Ukraine oder Weißrussland: Für Russlands politische Elite sind beide nur Fragmente der „russischen Welt“. Das verbarg sich wohl hinter Lukaschenkos Kommentar zum Grenzregime: „Staatliche Unabhängigkeit ist teurer als Öl.“ Freiheit lasse sich nicht in Zahlen fassen.

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