Im Dienst des scharfen Humors

Improvisiert In „Casting“ lässt Nicolas Wackerbarth Schauspieler aufeinander los (Forum)

Nicole Marischka, Judith Engel, Milena Dreißig Foto: Berlinale

„Casting“ von Nicolas Wackerbarth läuft im Forum der Berlinale. Forum – das beschreibt eine offene Form, einen Austausch. Ein Casting aber macht Hierarchien auf, es geschieht zu einem bestimmten Zweck. Ein Casting soll Ergebnisse zeitigen. Wie man einen Menschen vorsprechen lässt, nach welchen Maßstäben sich da jemand unter Beweis stellen muss, das hängt davon ab, wo ein Projekt hinwill. Es soll funken zwischen den Beurteilenden und den Beurteilten, im Verhältnis von Kunst und Methode. Und dann erst geht es los. Ein Casting schließt nichts ab: Was da geschieht, bleibt unvollständig, immer verbunden mit Fragen nach dem nächsten Schritt.

In Fall des Films „Casting“ ist das Setting die Produktion eines Fernsehfilms, den es schon gab. Vera (Judith Engel) heißt die Regisseurin, sie soll Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ adaptieren. Nur deshalb steckt das Fernsehen da Geld rein, zum Jubiläum. Für Vera aber ist nichts bekannt, das Einüben und Ausprobieren ist für sie keine Routine, sondern Grundlagenarbeit. Sie beginnt ihre Karriere beim Spielfilm, sucht eine künstlerische Handschrift. Und das in ihrem Alter, eine Woche vor Drehbeginn!

Ein Blick von oben herab

Sie komme ja übrigens aus dem Dokumentarfilm, heißt es irgendwann – verbunden mit einem Blick von oben herab, den ihr eine besonders eitle TV-Diva in den Kulissen zuwirft. Die kommt mit dem Gedanken an, dass sie genommen werden wird. Sonst hätte sie die Fernsehanstalt ja nicht eingeladen. Unter solchen Bedingungen die Richtige zu finden, zwischen fremdelnden Momenten, Anflügen von Begeisterung und der Hoffnung auf künstlerische Selbstfindung, das erweist sich als Prozess, der alle betrifft.

Aushalten muss das vor allem Gerwin (Andreas Lust), der als Anspielpartner gebucht wurde und sich zwischen der nervösen Castingfrau und einer wankelmütigen Vera mit den potenziellen Schauspielerinnen für die Rolle der Petra herumschlagen muss. Während sich Zeitpläne ändern und Absprachen jongliert werden, kochen die Gemüter und Vera ist ganz durcheinander.

Mit dem Gerwin scheint es Chemie zu geben. Oder spielt sie bloß mit ihm? Und, mal ganz objektiv, das heißt als Frage an die Gruppe: Passt der Kerl als männliche Hauptrolle? Auf einmal wird er in Kleider gesteckt, prüfend gemustert, als Charakter und Mann und Schauspieler und Körper. Leute gucken hier überhaupt ständig durch Filter, weil sie nicht nur den Menschen sehen sollen, sondern immer den Menschen im Verhältnis zum Spiel. Und das Spiel ist mehr als Schauspiel.

Ausdruck und Eindruck

Das Spiel dreht sich um Verhältnisse, um Ausdruck und Eindruck, Moment und Perspektive. Was wird da geprobt, soll das nicht anders inszeniert werden? Wo kommen diese Schauspielerinnen her, aus welcher Kunstrichtung? Und auch: Wer ist erfolgreich, und wem bringt das was? Wie sehr will die Produktion ein Ergebnis schon in der Übung formen? Im Grunde manipulieren alle, auf Kosten derer, die das dann vor der Kamera zusammenbringen müssen. Manche brennen aus, weil sie alles von sich zeigen sollen und nichts im Vertrauen geschieht. Die Profis haben die harten Masken. Gerwin tut so, als ob er das Menschliche will, nicht das Schauspiel. Und dann doch nicht.

Für den Film wurden viele Szenen improvisiert. Regisseur Wackerbarth war selbst schon Schauspieler und arbeitete hier mit Leuten, die viel psychologische Genauigkeit mitbringen. Er stellt die in den Dienst eines scharfen Humors. „Casting“ macht genaue Beobachtungen, verhandelt Kunst und Leben in anstrengenden Schizophrenien. Was sich abzeichnet, ist die Auflösung dieser Trennung, dann, wenn eine Inspiration oder eine Psychologie den klar abgesteckten Raum der Filmkulisse sprengt.

Vieles, was dann aufkeimt, wird wieder verworfen, verdrängt. Aber manches bleibt hängen, manches hat niemand im Griff. Und das ist ganz gut so. Weil hier nichts abgeschlossen ist, weil der Film sich als Vorstufe gibt und als Übung, als offener Prozess, sickert das Unberechenbare ununterbrochen durch die Leinwand, als Hoffnung auf ein humanistisches Gespür bei der Realisierung von Kunst. Dennis Vetter

16. 2., 20 Uhr, Colosseum 1; 19. 2., 20 Uhr, Cubix 9