Bloß kein stilles Gedenken

DEMO I Mit einem Protestmarsch erinnern Tausende Menschen an Silvio Meier, der vor 20 Jahren von Neonazis ermordet wurde. In Lichtenberg kommt es zu Festnahmen

„Diese Demo ist ganz in Silvios Sinne“

CHRISTIANE SCHIDEK, EHEMALIGE PARTNERIN VON SILVIO MEIER

VON JULIA AMBERGER

Es kracht, als eine Leuchtrakete explodiert und die Fassaden der Häuser rot erstrahlen lässt. Christiane Schidek, eine Frau Mitte 40, jubelt inmitten von schwarzgekleideten DemonstrantInnen. „Da haben wir gewohnt“, ruft sie und zeigt auf das Haus, von dessen Balkon die Raketen gestartet werden. Ein Banner mit der Aufschrift „Gedenken an Silvio“ hängt daran. Schideks Stimme ist kaum zu hören zwischen den Sprechchören der Vermummten: „Hier wurde unser Sohn Felix geboren. Hier haben wir Aktivitäten geplant und gefeiert“, sagt die Frau mit den krausen Locken um das schmale, braungebrannte Gesicht und lacht. „Das Freudenfeuer überwältigt mich.“

Schidek ist die ehemalige Lebensgefährtin von Silvio Meier, der vor 20 Jahren am U-Bahnhof Samariterstraße wenige hundert Meter weiter von Neonazis niedergestochen wurde. Mit einer jährlichen Kundgebung erinnert die linke Szene an den Aktivisten und Hausbesetzer. Rund 2.500 TeilnehmerInnen sind nach Angaben eines Polizeisprechers gekommen, laut Veranstalter gar bis zu 5.000, um von Friedrichshain nach Lichtenberg zu rechten Treffpunkten und wieder zurück zu ziehen. Es geht darum, vor Ort Präsenz zu zeigen.

Dieses Jahr haben die DemonstrantInnen den Neonazi-Treff in der Lückstraße ins Visier genommen. Die Schaufenster und das Schild des früheren Gardinengeschäfts sind mit schwarzer Farbe getüncht – schon Monate zuvor hatten Antifas den Laden „dekoriert“, wie sie es nennen. Davor stehen vier Polizeiwagen. „Sind die Bullen jetzt da, um die Nazis zu schützen, oder was?“, fragt ein Vermummter neben Schidek. Er schleudert eine Bierflasche auf die Fassade, es klirrt. Ein paar Böller explodieren vor dem Schaufenster, ansonsten bleibt es ruhig. „Nazis raus!“, skandieren die DemonstrantInnen und ziehen weiter.

In der Weitlingstraße verfinstert sich Schideks Miene, der Protestzug führt vorbei an schmucklosen Wohnhäusern und Imbissbuden. In den 1990ern wohnten dort mehrere Neonazis der mittlerweile verbotenen Kameradschaft NS-Tor, in der Kneipe „Kiste“ oder im „Piccolo“ tranken sie ihr Bier.

Schidek hakt sich bei den DemonstrantInnen unter und stimmt in den Chor ein: „Silvio Meier, das war Mord, Widerstand an jedem Ort!“

Zum 20. Todestag werden im Internet Silvio-Shirts und Taschen verkauft, die Gabelsbergerstraße in Friedrichshain soll nach ihm benannt werden. Für viele seiner alten WegbegleiterInnen geht dieser Hype um die Person Meier zu weit. „Silvio war in erster Linie Mensch, wie du und ich“, sagt auch Schidek und überlegt kurz. „Ich weiß nicht, ob ihm dieser Aufruhr um seine Person gefallen hätte.“ Doch die Demonstration findet sie unterstützenswert.

Am Anfang hatten die Bekannten Meiers eher damit zu kämpfen, dass die Tat verharmlost worden sei, erinnert sich Schidek. FreundInnen aus der Oppositionellen- und der Hausbesetzerszene hätten daraufhin in der Öffentlichkeit Druck gemacht. Heute stehe der Mord an Silvio symbolisch für Opfer rechter Gewalt. „Verfassungsschutz und NSU, Nazis morden, der Staat schaut zu“, skandieren einige. Auch zwei Frauen Mitte 70 laufen mit. „Die Methoden entsprechen uns zwar nicht immer“, sagt eine und deutet auf eine leere Bierflasche auf der Straße. „Aber das Ziel verbindet: Wir wollen den Antifaschismus stärken.“

Am Ende der Demo am Bahnhof Lichtenberg nehmen Polizisten ein Dutzend DemonstrantInnen fest, die sich zuvor vermummt haben.

Ansonsten bleibt es weitgehend friedlich. Ein Zusammentreffen mit etwa 30 Rechtsextremen, die vor der Lückstraße demonstrierten, wird verhindert. Christiane Schidek strahlt über das ganze Gesicht und sagt: „Wenn ich mir die Leute hier ansehe und die Ziele, für die sie kämpfen, kann ich sagen: Diese Demo ist ganz im Sinne Silvios.“