Neuerungen beim Foodsharing: Teilen, aber professionell

Seit vier Jahren rettet Foodsharing e.V. erfolgreich Essen vor der Tonne. Zu erfolgreich. Das Projekt wächst über seine Kapazitäten hinaus.

Zwei Präriehunde teilen sich etwas Essbares

Vorbildlich, auch bei ihnen ist Foodsharing angekommen Foto: imago/robertharding

BERLIN taz | „Wir wollen nicht Opfer unseres eigenen Erfolgs werden“, sagt Valentin Thurn. Dieser Erfolg lässt sich nur schwer bestreiten. Vor knapp vier Jahren gründeten der Regisseur und weitere Gleichgesinnte den Verein Foodsharing. Sie hatten sich zum Ziel gesetzt, Lebensmittelverschwendung zu verringern. Ausgangspunkt war ein Dokumentarfilm Thurns, der 2011 in die Kinos kam. In „Taste the Waste“ dokumentiert der Filmemacher eindrucksvoll das globale Ausmaß der Wegwerfmentalität.

Dass allein in Deutschland laut WWF jährlich rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden, wollten Thurn und andere Aktivisten nicht länger hinnehmen. Es entstand eine Onlineplattform. Deren Prinzip ist simpel. Wer noch genießbare Lebensmittel nicht mehr verbraucht, kann diese auf der Webseite anbieten. Andere Nutzer*innen können sich diese kostenfrei abholen.

Darüber hinaus wurde der Schulterschluss mit Lebensmittelbetrieben gesucht. Über 3.000 Läden kooperieren zurzeit mit Foodsharing. Anstatt in der Tonne landen die Lebensmittel dieser Betriebe in den Händen der Aktivisten, die diese an die übrigen Nutzer*innen weiterverteilen oder in öffentlich zugängliche (Kühl-)Schränke legen. Die Webseite traf einen Nerv. In Deutschland vernetzt Foodsharing heute über 200.000 Menschen. Mehr als 7 Millionen Kilogramm Lebensmittel hat die Initiative nach eigenen Angaben bisher vor der Tonne gerettet.

Doch nun droht, wie Thurn sagt, das Projekt selbst zum Opfer dieser Entwicklung zu werden. Die vier Jahre alten Strukturen des Vereins sind nicht mehr in der Lage, das rasante Wachstum des Netzwerks einzuhegen. Das liegt auch daran, dass das Projekt keine einheitlichen Strukturen hat. Zwar gibt es den bundesweit agierenden Verein Foodsharing e. V., doch sind viele der lokalen Ortsgruppen lediglich als Privatpersonen über die Plattformen vernetzt, sind also nicht als Verein eingetragen.

Woher kommt das Geld?

Viele – wie die Berliner Ortsgruppe – finden das gut. Eine lokale Vereinsgründung würde für die Aktivisten vor allem eines bedeuten: mehr Arbeit. Satzungen, Mitgliederversammlungen, Wahlen – all das würde die ehrenamtlich arbeitenden Essenverteiler zusätzlich belasten. Auf der anderen Seite beklagen viele Ortsgruppen fehlende Mitbestimmungsrechte.

In Schleswig-Holstein hat sich eine Ortsgruppe vor anderthalb Jahren deshalb sogar ganz vom Foodsharing e. V. losgesagt. In Duisburg eskalierte ein Konflikt aufgrund fehlender Mitbestimmungsrechte so weit, dass dieser schließlich vor Gericht landete. Wachstumsschmerzen nennt Thurn das. Abhilfe soll nun eine weitgehende Demokratisierung schaffen. So sollen in allen Ortsgruppen – Vereinssatzung hin oder her – zumindest Wahlen für einen Vorsitzenden durchgeführt werden.

Ein weiteres Problem des rasanten Wachstums: Geld. So ist in dem Protokoll einer erweiterten Vorstandssitzung im November 2016 zu lesen: „Die finanzielle Situation des Vereins ist desaströs. Wenn nicht bald Geld in die Vereinskasse kommt, können wir Insolvenz anmelden.“

Offensichtlich hat man den Koordinierungsaufwand eines derartigen Projekts lange unterschätzt, denn auf größere Spendenaufrufe oder Werbeaktionen verzichtete man bislang. Doch auch das soll sich nun ändern. Um auch weiterhin Lebensmittel im großen wie im kleinen Stil vor der Tonne retten zu können, wird auf der Startseite der Plattform nun explizit dazu aufgerufen, das Projekt mit einer Spende zu unterstützen.

Thurn ist sich bewusst, dass er das Projekt damit ein Stück weit von einer mehrheitlich privat vernetzten Initiative hin zu einem ehrenamtlich arbeitenden Verband verschiebt – mit all seinen Vor- und Nachteilen. Im Sinne der Idee ein hoffentlich nicht zu großes Opfer für den Erfolg.

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