Früherer taz-Journalist in Gefangenschaft: Geheimakte Deniz Yücel

Nicht einmal sein Anwalt kennt Deniz Yücels Akte. Der „Welt“-Korrespondent sitzt in Polizeigewahrsam, in Berlin gab es eine Soli-Demo.

Menschen halten "Free Deniz"-Schilder aus den Autofenstern

Korso komplett bei der Solidemo für den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel Foto: reuters

BERLIN taz | „Egal, ob Erdoğan aus Kalkül handelt oder einen Sprung in der Schüssel hat – mit einem, der nicht zuhören will oder kann, ist ein Gespräch schwierig. Die Frage ist nicht, ob er stürzen wird; die Frage ist, was er im Fall zertrümmern wird.“ Mit diesen Zeilen beendete Deniz Yücel seine taz-Kolumne „Besser“ am 3. Februar 2014.

Den Sommer zuvor hatte der Journalist auf dem Istanbuler Taksim-Platz verbracht, hatte die hoffnungsvolle Hochphase und die gewaltsame Niederschlagung der Gezi-Proteste beobachtet. Bald darauf entschied er sich, in die Türkei zu ziehen. Seit letztem Dienstag befindet sich Yücel auf dem Polizeihauptrevier in Istanbul-Fatih in Gewahrsam.

Insgesamt sitzen derzeit 153 Journalist*innen in der Türkei in Haft, doch Yücel, der 2015 von der taz zur Tageszeitung Die Welt wechselte und deren Türkeikorrespondenz übernahm, ist der erste Deutsche. Kurz nachdem dies am vergangenen Freitag bekannt wurde, teilte das Auswärtige Amt mit, dass man mit Yücel in Kontakt stehe: „Natürlich tun wir alles, was wir können, um Deniz Yücel zu unterstützen.“ Auch Kanzlerin Angela Merkel habe am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz beim türkischen Premier Binali Yıldırım den Fall „ausführlich angesprochen“, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Merkel habe darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, dass Yücel durch die deutsche Botschaft umfassend konsularisch betreut werden könne.

Ein entscheidender Punkt, denn: Ausländische Jour­na­lis­t*innen, die in Vergangenheit vor einem Gericht standen, wurden meist direkt ausgewiesen. Doch Deniz Yücel besitzt neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit und wird somit vor dem türkischen Gericht als türkischer Bürger behandelt.

Unklar ist, was Deniz Yücel vorgeworfen wird

Weshalb genau gegen Yücel ermittelt wird, sei noch unklar, erklärt sein Anwalt Veysel Ok der taz gegenüber: „Seine Akte unterliegt einem Geheimhaltungsbefehl. Wir können nur anhand der ihm gestellten Fragen mutmaßen, wie die Vorwürfe lauten. Wir nehmen an, dass ihm die ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation‘ und der ‚Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht‘ vorgeworfen werden – mit Bezug zum RedHack-Fall.“

Die marxistisch-leninistisch orientierte Hackergruppe RedHack hatte sich im September 2016 Zugang zum E-Mail-Postfach des türkischen Energieministers Berat Albayrak verschafft. Im Dezember wurden knapp 60.000 E-Mails auf der Enthüllungsplattform Wiki­leaks veröffentlicht. Deniz Yücel berichtete darüber für die Welt, und zwar vor allem über die bewusste Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Fake News auf Twitter.

Sprecher des Auswärtigen Amts

„Natürlich tun wir alles, um Deniz Yücel zu unterstützen“

Am 25. Dezember wurden sechs Jour­na­lis­t*innen, die ebenfalls über die gehackten E-Mails berichtet hatten, verhaftet. Mehreren werde die Mitgliedschaft in allen möglichen Ter­ror­or­ganisa­tio­nen vorgeworfen, die es in der Geschichte der türkischen Republik gegeben hat, sagt Cumhuriyet-Journalistin Canan Coşkun, die den Fall vor Ort verfolgt.

Autokorso komplett

Drei weitere Journalist*innen, die gesucht wurden, hatten sich laut der regierungsnahen Zeitung Sabah im Ausland befunden. Unter ihnen war Berichten zufolge auch Yücel. Belegt ist diese Information aber nicht. Laut Informationen von Meedia und Spiegel habe sich Yücel in den vergangenen Woche im deutschen Generalkonsulat in Istanbul aufgehalten, bis er sich am 14. Februar ins Polizeihauptrevier in Istanbul-Fatih begab, um sich den Ermittlungen zu stellen. Yücels Anwalt Veysel Ok sagt, er stehe mit ihm in Kontakt, und Yücel gehe es „den Umständen entsprechend gut“.

Die Solidarität zu Deniz Yücel manifestierte sich derweil nicht nur am Samstagabend auf der Berlinale-Leinwand, wo ein Foto des 43-Jährigen prangte, während Festivaldirektor Dieter Kosslick einen Gruß nach Istanbul sendete. Am Sonntagnachmittag wurde in Berlin ein Autokorso organisiert, bei dem achtzig vollbesetzte Wagen in Begleitung einer Polizeieskorte einmal durch die Stadt fuhren und hupten, um die bedingungslose Freilassung Yücels zu fordern. Dass Yücel ein Faible für Autokorsos hat, kann man in einer Kolumne aus der Jung­le World von 2006 nachlesen: „Korso komplett?“

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